Ausblick 2022

Ein Jahr voller Fragezeichen

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 25.01.2022 - 08:40
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© Hannes Eisenberger

Unterm Strich endete 2021 laut NielsenIQ mit einem Minus. Das ist aber kein Beinbruch – ganz im Gegenteil. Denn ein Ganzjahres-Umsatzminus von 0,3 Prozent im Lebensmittelhandel kann nur als Erfolg gelesen werden. Wir erinnern uns: Im ersten Corona-Jahr 2020 hatte der LEH hierzulande um sage und schreibe 10,1 Prozent zugelegt. Das Plus war den außerordentlichen Rahmenbedingungen geschuldet. Die meisten Marktbeobachter waren sich sicher, dass es ein einmaliger Ausreißer nach oben gewesen ist. Selbst hartgesottene Optimisten haben es kaum für möglich gehalten, dass man so ein Ergebnis wiederholen kann. Und trotzdem ist es passiert. Der LEH konnte das Ergebnis von 2020 im Vorjahr mehr oder weniger halten. Marktführer Spar war wieder einmal der große Motor innerhalb der Branche. Lag man 2019 noch 1,5 Prozentpunkte hinter Rewe, so konnte man den einstigen Branchenleader im Jahr 2020 überholen und um 1,3 Prozentpunkte abhängen. Im Vorjahr wurde die Marktführerschaft nicht nur konsolidiert, sondern auch noch ausgebaut. Mit einem Marktanteil von 36,0 Prozent lag man im Gesamtjahr 2021 ganze 2,1 Prozentpunkte vor der Rewe-Gruppe, die unterm Strich bei 33,9 Prozent landete.

Was macht Rewe heuer?
Im Zusammenhang mit Rewe stellt sich schon die erste große Frage für 2022. Wird es die ehemalige Nummer 1 schaffen, dass sich der Abstand zu Spar nicht weiter vergrößert? Obwohl im Vorjahr das Gegenteil passiert ist, gibt es positive Anzeichen. So konnte Rewe zum Beispiel auch zulegen. Das Plus bei den Marktanteilen im Vergleich zu 2020 betrug immerhin 0,6 Prozentpunkte. Blöd nur, dass Spar im selben Zeitraum den Marktanteil um 1,4 Prozentpunkte steigern konnte. Dennoch ist Rewe für die kommenden Monate nicht schlecht aufgestellt. Das Zauberwort zu Jahresbeginn heißt Kontinuität. Vor wenigen Tagen hat der Rewe-Aufsichtsrat die Verträge von Marcel Haraszti, Michael Jäger und Christoph Matschke frühzeitig bis Ende 2025 verlängert. Das ist eine klare Ansage und ein deutlicher Vertrauensbeweis für das Vorstandsteam der Rewe International AG. Jan Kunath, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der REWE Group und Aufsichtsratsvorsitzender der Rewe International AG, begründete die Verlängerung in einer Aussendung so: „Wir haben in den letzten Jahren mit viel Leidenschaft und Einsatz in Österreich und unseren weiteren Ländern wegweisende Entscheidungen getroffen und umgesetzt. Wir haben die Verwaltung neu aufgestellt, Billa und Merkur in Österreich sowohl als Organisationen als auch als Marken zusammengeführt, stärken gezielt unsere Aktivitäten in Zentral- und Osteuropa sowie Italien und wollen diesen Weg des Wachstums weiter mit voller Kraft und Stabilität erfolgreich fortsetzen.“

Harte Zeiten für Diskonter
Während Rewe daran arbeitet, den eingeschlagenen Kurs fortzuführen und zu optimieren, besteht bei den Diskontern dringender Handlungsbedarf. 2021 war erneut ein Jahr, in dem Hofer und Lidl zu kämpfen hatten. Die beiden Unternehmen werden von NielsenIQ bekanntlich gemeinsam ausgewiesen. Und die Zahlen fürs Gesamtjahr 2021 sind mehr als bescheiden. Unterm Strich kamen die beiden Unternehmen gemeinsam auf einen Marktanteil von 23,1 Prozent. Das Jahr davor hatten sie noch bei 24,9 Prozent abgeschlossen. Innerhalb von zwölf Monaten verloren die beiden 1,8 Prozentpunkte bei den Marktanteilen. Vor allem das veränderte Konsumverhalten – Stichwort One-Stop-Shopping – bereitet den Billiganbietern Kopfzerbrechen. Selbst mit altbewährten Taktiken wie Preissenkungen konnte das Ruder nicht herumgerissen werden. Nun ist guter Rat teuer. Bei Lidl Österreich etwa will man sich in Zukunft verstärkt als One-Stop-Shopping-Des­tination präsentieren. „Mit insgesamt über 2.000 dauerhaft erhältlichen Artikeln sind wir mittlerweile gut aufgestellt und eine Haupteinkaufsstätte für den täglichen und wöchentlichen Familieneinkauf. Es geht dabei nicht darum, das größte Sortiment zu haben, sondern das richtige“, sagt Karsten Kremer, Geschäftsleiter Einkauf & Marketing bei Lidl Österreich.

7,7 Prozentpunkte in 13 Jahren
Beim Marktführer Spar herrscht indes Zufriedenheit. Die Strategie der vergangenen Jahre ist voll aufgegangen. Wie kontinuierlich das Unternehmen zulegen konnte, zeigt auch ein längerfristiger Vergleich. Ende 2008 hielt die Tanne noch einen Marktanteil von 28,3 Prozent. Seit damals konnte das Unternehmen ganze 7,7 Prozentpunkte dazugewinnen. Vor allem der Verbrauchermarkt Interspar bereitet der Unternehmensführung in Salzburg viel Freude. Klar: In Zeiten des One-Stop-Shoppings macht sich ein breites Sortiment mit einem breit gefächerten Non-Food-Angebot doppelt und dreifach bezahlt. Als Wermutstropfen der letzten beiden Jahre bleibt freilich das Geschäft mit den Shoppingcentern, das 2020 und 2021 coronabedingt von zahlreichen Schließtagen betroffen war. Für 2022 gilt hier natürlich das Prinzip Hoffnung. Niemand weiß, wie sich das Virus weiterentwickeln wird. Aktuell sieht es zumindest eher so aus, als ob die Omikron-Variante dazu führen könnte, dass sich die Pandemie in eine Endemie verwandelt. Das wäre aus heutiger Sicht ein Best-Case-Szenario.

Lieferkette als Sorgenkind
Apropos Corona. Das Virus hängt natürlich weiterhin wie ein Schatten über der Branche. Von den pandemisch bedingten Problemen in den Lieferketten werden die Produzenten, aber auch die Händler (Eigenmarken!) heuer stark betroffen sein. Die Rohstoff-Problematik wird in vielen Bereichen zu stark gestiegenen Produktionskosten führen. Wer diese schlucken wird, bleibt abzuwarten. Viele Produzenten werden in den Verhandlungen mit dem LEH Preiserhöhungen einfordern. Der Handel wird eher versuchen, diese zu einem großen Teil auf die Produzenten abzuwälzen. Mit einer Prognose lehne ich mich aus dem Fenster: Das traditionell nicht unkomplizierte Verhältnis zwischen Handel und Lieferanten wird sich heuer nicht dramatisch verbessern.

Personalsuche als größte Sorge
Hört man sich in der Branche um, wo genau das größte Fragezeichen für 2022 zu finden ist, bekommt man ungewöhnlich oft dieselbe Antwort: Die größte Herausforderung besteht darin, gut qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Hinter vorgehaltener Hand beklagen immer mehr Manager, dass es seit einiger Zeit extrem schwierig ist, geeignetes Personal zu finden. Über das Warum herrscht großes Rätselraten. Aber auch hier dürfte Corona eine Rolle spielen. Im Lockdown haben offenbar noch mehr junge Menschen den Entschluss gefasst, doch keine „klassische“ Angestelltenkarriere einschlagen zu wollen. Ein Top-Manager eines großen Handelskonzerns verriet mir sogar, dass er aktuell nicht nur für das Filialgeschäft zu wenig geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden würde, sondern dass es auch auf Job-Ausschreibungen im PR- und Marketing-Bereich auffällig wenig Resonanz gäbe. Einzig aus von Corona besonders hart getroffenen Sparten, also etwa aus dem Tourismus oder aus der Gastronomie, würden Menschen aktuell vermehrt in die Handelsbranche wechseln.