10_shutterstock_124017703.jpg

Shutterstock

Immobilien

Der Diskonter als Wohnungsvermieter

Ein Artikel von Daniel Segal | 18.04.2018 - 14:53

Vor wenigen Wochen kündigte Aldi Nord  an, in Berlin insgesamt 2.000 Wohneinheiten an mindestens 30 Standorten zu errichten. Im Fokus stehen dabei bestehende eingeschossige Märkte, die aufgestockt werden sollen. Bei Neubauten dagegen werden die Filialen von Beginn an im größeren Kontext gesehen. „Grundstücke einstöckig zu bebauen ist eigentlich Flächenverschwendung“, sagte daher auch Jörg Michalek, Geschäftsführer der Aldi Immobilienverwaltung, als er die ersten beiden Projekte in den Bezirken Lichtenberg und Neukölln präsentierte. Dort sind neben der Filiale selbst 200 Wohnungen geplant, von denen 30 Prozent als Sozialwohnungen ausgewiesen werden sollen. Bedürftige Mieter zahlen dort lediglich 6,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Und auch in den anderen Einheiten soll der Quadratmeterpreis nicht die zehn Euro-Grenze passieren – für eine Neubauwohnung in Berlin ein sehr fairer Preis.  

Für die kommenden Jahre hat man sich bei Aldi Nord 15 weitere Neubauten dieser Art auf die To-do-Liste geschrieben. „Mit den ersten Leuchtturmprojekten wollen wir nur den Startschuss für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Stadt Berlin setzen“, so Jörg Michalek.

Einkaufen, ohne das Haus zu verlassen

Konkurrent Lidl hat in Berlin bereits zwei Filialen eröffnet, die Wohnen und Einkaufen verbinden. Dabei wurde ein Markt aufgestockt, ein anderer im Rahmen eines Neubauprojekts im Erdgeschoss integriert. Ein Aufzug verbindet die sechs Stockwerke mit einer Tiefgarage und gleichzeitig mit dem Lidl-Markt. In beiden Häusern können Mieter einkaufen gehen, ohne das Haus zu verlassen. Baulich herausfordernd sind die Neubau – und Aufstockungsprojekte jedoch gleichermaßen. „Die Schwierigkeit für uns bestand darin, das Gewicht der Wohnhäuser so abzutragen, dass dies später zu keinen Einschränkungen im Filialbetrieb führt“, heißt es bei Lidl. Ziel sei es, die Marktfläche nur durch möglichst wenige Stützen zu unterbrechen. Sechs Stück sind es in der neuen Filiale geworden, die jedoch zur Gänze in das Regalsystem integriert sind und dadurch nicht stören. 

Bei Aufstockungen besteht die Herausforderung darin, die neue Bausubstanz mit dem bestehenden Gewerk zu „verbunden“. Dazu wird vor Baubeginn die Statik eingehend überprüft, der Filialbetrieb während der Bauarbeiten aus Sicherheitsgründen zudem eingestellt. Lidl scheint sich von den Herausforderungen nicht abgeschreckt zu fühlen: „Wir prüfen generell jedes neue Lidl-Grundstück auf seine Eignung für eine Überbauung mit Wohnungen und planen, in den nächsten Jahren einige Lidl-Filialen mit Wohnbebauung in Berlin zu errichten“.

Auch der Berliner Senat nimmt das LEH-Engagement wahr. 2017 hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Vertreter der Handelsketten sogar zu einem Gipfel eingeladen, um über die Immobilienoffensive zu beraten. Berlins Regierung selbst hatte dabei 330 Standorte präsentiert, wo bestehende Filialen durch Wohnraum ergänzt werden könnten. Eine Zusammenarbeit zwischen Stadt und LEH auf dem Wohnungsmarkt ist heute Realität.

 

Große Pläne bei Lidl Österreich

Und auch in Österreich ist dieser Trend nicht unbekannt. Schon seit einiger Zeit beschäftigen sich die heimischen Retailer teils intensiv mit dem Thema. „Wir stehen dem Konzept grundsätzlich offen gegenüber, da ein Nahversorger ja nah bei den Menschen sein soll und es somit eine Win-Win-Situation für Bewohner und Supermarkt ist“, sagt etwa Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Man prüfe daher „immer mal wieder“ die Möglichkeiten, ein konkretes Projekt gebe es aber „derzeit keines“. 

Ganz anders sieht es dagegen bei Lidl Österreich aus. Der Diskonter hat bereits  2017 die erste sogenannte Metropolfiliale in der Sagedergasse im 12. Wiener Gemeindebezirk eröffnet. Charakteristikum dieses neuen LEH-Konzepts ist eine geringere Grundfläche von circa 400 bis 600 Quadratmetern, weshalb Metropolfilialen besonders im (knappen) städtischen Raum eine Alternative zu den sonst üblichen – in der Regel doppelt so großen – Flächenfilialen sind.

„Trotzdem können wir unseren Kunden das volle Sortiment bieten“, beruhigt Matthias Raßbach, Geschäftsleiter Immobilien. Die Filiale Sagedergasse zeichnet sich zudem dadurch aus, dass sich im Erdgeschoss der Kundenparkplatz befindet. Über einen breiten Rollsteig gelangen die Kunden in den Verkaufsraum im ersten Stock. Aber auch die Flächen oberhalb der Filialen will Lidl nutzen: „Über einer künftigen Lidl-Filiale wird ein Studentenheim entstehen, an einem anderen Standort in Wien-Favoriten haben wir einen Kindergarten sowie Büroflächen über der Filiale geplant. Wir denken dabei aber auch an Wohnungen, ebenso wie an Ärztezentren, Standorte für Logistik oder kommunale Einrichtungen“, so Christian Schug, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Lidl Österreich. Während Lidl also ambitionierte Pläne verfolgt, seine Rolle als Immobilienplayer weiter zu schärfen, sieht es beim Konkurrenten Hofer ganz anders aus. Man plane „aktuell keine eigenständige Errichtung von Wohnungen“, so das kurze Statement. 

Die Rewe International wiederum „befasst sich schon seit Längerem mit diesem Thema“, wie Sprecher Paul Pöttschacher gegenüber KEYaccount erklärt: „Flexibilität bei Flächen und Filialkonzepten sowie unkonventionelle Ansätze wie Überbauungs- oder multifunktionale Nutzungskonzepte werden zukünftig verstärkt gefragt sein.“ Wie es scheint, werden Berliner wie Wiener Mieter in den nächsten Jahren häufiger einen Retailer als Vermieter haben und ohne Jacke einkaufen gehen können.