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Too good to go

Ein Artikel von Angelika Kraft | 13.12.2021 - 10:23
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© Martina Draper

Traurig, aber wahr. Mehr als ein Drittel aller Lebensmittel weltweit wird verschwendet! (Machen Sie hier bitte eine Lesepause, um diese Zahl auf sich wirken zu lassen …) Jetzt könnte man sagen: „Ja, aber in Österreich wird es schon nicht so schlimm sein.“ Leider doch. Eine Million Tonnen genießbare Lebensmittel werden hierzulande unnötig weggeworfen, obwohl sie bei rechtzeitigem Konsum noch genießbar wären. Eine Million Tonnen! (Wieder eine kurze Pause …)

Die Folgen
Was hat das zur Folge? Weggeworfene Lebensmittel verschwenden unnötig Ressourcen – etwa für Produktion, Lagerung oder Transport. Pro Kilogramm nicht verzehrtem Brot zum Beispiel werden etwa 1.000 Liter Wasser vergeudet. Zudem ist Lebensmittelverschwendung für zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. „Wäre Lebensmittelverschwendung ein Land, wäre es – hinter den USA und China – das Land mit den drittgrößten CO2-Emissionen der Welt“, sagt einer, der sich mit Lebensmittelverschwendung intensiv beschäftig hat und der dieses Problem aktiv bekämpfen wollte.
Lebensmittel und Nachhaltigkeit sind zwei Themen, die Georg Strasser schon seine gesamte berufliche Laufbahn begleiten. Sein Studium der Betriebswirtschaftslehre in Österreich erweiterte er mit dem Master-Programm „Sustainable Development“ (wörtlich übersetzt: nachhaltige Entwicklung) im schwedischen Uppsala. Als Corporate Responsibility-Manager bei einem großen österreichischen Lebensmitteleinzelhändler baute er Partnerschaften mit lokalen NGOs aus dem Umwelt- und Sozialbereich auf und widmete sich der Frage, wie man als Unternehmen verantwortungsvoll mit Lebensmitteln umgehen kann.
„Im Rahmen meiner Recherche habe ich von den Expansionsplänen einer dänischen App gegen Lebensmittelverschwendung gehört. Für mich war klar: So etwas fehlt in Österreich“, erinnert sich Strasser. Im August 20219 brachte er schließlich Too Good To Go nach Österreich und begann ein kleines Team aufzubauen. „Mir war wichtig, nicht nur fachlich gute Leute zu finden, sondern auch jene, die voll und ganz hinter unserer Mission stehen“, so Strasser.
Der nächste Schritt war, die ersten Partnerbetriebe an Bord zu holen. „Damals sind wir zu viert von Restaurant zu Restaurant marschiert und haben die Chefs gefragt, ob sie Essen wegwerfen müssen. Wir haben schnell gemerkt: Es gibt noch wenig Bewusstsein für das Problem“, berichtet Strasser. „Die ersten 30 Partner waren erst nach zwei, drei Monaten und vielen Gesprächen dabei. Heute melden sich an manchen Tagen bis zu 30 neue Firmen an“, freut sich Strasser, der mittlerweile als österreichischer Country Manager ein Team von 30 Mitarbeitern leitet. Gemeinsam mit etwa 3.200 Partnerbetrieben vom Weingut bis zum Supermarkt und mehr als 860.000 App-Usern können dabei täglich rund 8.000 Kilogramm Essen vor der Verschwendung gerettet werden.

Was steckt dahinter?
Wie funktioniert Too Good To Go nun genau? Am Ende des Geschäftstages bleiben Betrieben wie Bäckereien, Restaurants, Produzenten und Supermärkten Lebensmittel übrig. Diese geben die Partnerbetriebe in ein Überraschungssackerl. In der App kaufen die Nutzer den Überschuss zu einem Drittel des Preises und holen ihr Sackerl kurz vor Betriebsschluss direkt im Geschäft ab.
„Too Good To Go nutzt das wirtschaftliche System, um eine von vielen Lösungen gegen das enorme ökologische Problem Lebensmittelverschwendung anzubieten“, kommt Strasser ins Schwärmen, „das funktioniert so gut, weil alle etwas davon haben: Betriebe können ohne großen Aufwand ihre überschüssigen Lebensmittel verkaufen anstatt sie wegzuwerfen. In erster Linie bekommen sie die gebührende Wertschätzung und einen kleinen finanziellen Beitrag für ihre Lebensmittel. Auch wird der eigene Betrieb dadurch bekannter, da er in der App potenzieller neuer Kundschaft angezeigt wird. Und die Kunden freuen sich über gutes Essen für einen vergünstigten Preis. Die App war in Dänemark ein großer Erfolg, warum sollte das nicht auch hier funktionieren?“

Mülltonne als Konkurrent
Auf den Einwand, dass durch Too Good To Go weniger Lebensmittelspenden für karitative Einrichtungen wie etwa Sozialmärkte oder die Tafel übrig bleiben, entgegnet Strasser: „In Österreich werden jährlich rund eine Million Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Aktuell können gemeinnützige Organisationen und Unternehmen wie wir, die sich gegen Lebensmittelverschwendung einsetzen, leider nur einen kleinen Bruchteil dieser unglaublichen Menge retten. Ich glaube daher, es braucht so viele Ansätze und Initiativen wie möglich, um das Problem zu lösen. Die einzige Konkurrenz ist und bleibt die Mülltonne. Gleichzeitig finden wir es richtig und wichtig, dass unsere Partnerbetriebe aus dem Bereich Lebensmittelhandel zuerst an karitative Organisationen spenden. Sollte dann immer noch etwas übrig bleiben, kommen diese ins Too Good To Go-Überraschungssackerl.“

Sackerl_(c) Too Good To Go.jpg

© Too good to go

Das Sackerl vom Land
Ziele für die Zukunft? „Wir arbeiten jetzt schon verstärkt mit Betrieben in ländlichen Regionen zusammen und sehen: Das funktioniert, auch hier werden die Überraschungssackerl abgeholt. Das Ziel ist es, Schritt für Schritt in ganz Österreich auch außerhalb der großen Städte verfügbar zu sein“, so Strasser.
Als Betrieb mitmachen können alle, die Lebensmittelüberschüsse haben – egal, ob Produzent, Gasthaus oder Handel. Man meldet sich für mehr Informationen einfach unverbindlich auf der Webseite. Ein Mitarbeiter von Too Good To Go meldet sich anschließend telefonisch und bespricht mit dem Betrieb, was und wie viel übrig bleibt, und wie das Konzept funktioniert. „Dann kann es eigentlich sofort losgehen. Den Start von 700 Spar-Märkten etwa haben wir in nur wenigen Stunden vorbereitet“, so Strasser und erklärt weiter: „Ab dann ist es eigentlich ganz einfach: Partnerbetriebe passen die Zahl der verfügbaren Überraschungssackerl mit wenigen Klicks in der App an. Nutzer reservieren ihre Portion, bezahlen sie direkt und vorab in der App und müssen ihr Sackerl nur mehr im Geschäft oder Lokal abholen.“

Oft länger gut
Neben der App versucht Too Good To Go mit unterschiedlichen Initiativen falsche Informationen aus der Welt zu schaffen. „Missverständnisse rund um das Mindesthaltbarkeitsdatum zum Beispiel machen in Europa zehn Prozent des Food-Wastes aus“, klärt Strasser auf. So ist 2021 der Zusatzhinweis „Oft länger gut“ entstanden, 24 Produzenten sind schon mit an Bord. Die Initiative ermutigt Konsumenten dazu, die Sinne einzusetzen, bevor Lebensmittel entsorgt werden. Die Idee ist einfach: Mit einem Zusatz direkt neben dem Mindesthaltbarkeitsdatum auf Produkten wird gegen die unnötige Verschwendung von Lebensmitteln sensibilisiert und eine simple Prüfmethode aufgezeigt: Schauen, Riechen, Probieren, bevor das Lebensmittel entsorgt wird. Denn: „Lebensmittel sind oft viel länger gut als angegeben“, ist Strasser überzeugt.

Das persönliche Lieblingssackerl?
Abschlussfrage: Wie oft bestellen Sie selbst über Too Good To Go? „Mein Lieblings-Sackerl gibt es bei Dunkin Donuts“, verrät Strasser „da spaziere ich oft vorbei und hole mir ausgefallene Sorten, die an dem Tag nicht verkauft wurden, aber himmlisch schmecken. Meine Backwaren hole ich mir auch über die App. Meist bekommt man da ein riesiges Sackerl, die Semmeln und Weckerl friere ich einfach ein. So komme ich oft eine ganze Woche gut aus.“