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Händler müssen digital aufrüsten

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 05.01.2018 - 16:10

Seit Jahren versucht der österreichische Lebensmittelhandel, seine Onlineshops flächendeckend in Stellung zu bringen. Aber egal ob Billa, Merkur, Interspar oder Unimarkt – eine goldene Nase hat sich noch kein Marktteilnehmer damit verdient. Eher im Gegenteil. Die Investitionen sind hoch, die laufenden Kosten noch höher. Trotzdem will kaum ein Marktteilnehmer auf das Geschäft mit der Lebensmittelzustellung verzichten. Zu groß ist der drohende Schatten, den Amazon auf die Branche wirft. Dabei ist der Lebensmittelhandel im Vergleich zu anderen Branchen im Vorteil: Noch will die Lebensmittelzu­stellung von Amazon nicht so recht aus den Startlöchern kommen. Zu speziell und zu ungewohnt ist die LEH-spezifische Logistik für den US-Onlineriesen. Das anhaltende „Frische-Problem“ von Amazon verleitet Kritiker immer wieder dazu, vor einer Überschätzung der Bedeutung von Online zu warnen. EY (Ernst & Young) und der Handelsverband gehören nicht zu diesen Warnern. Ganz im Gegenteil. Sie präsentierten nun Zahlen und Fakten, die belegen sollen, dass es nur einen Weg gibt, mit dem österreichische Handelsunternehmen auch in Zukunft bestehen werden können. Und dieser beinhaltet eine ganzheitliche Strategie, bei der Online einen zentralen Platz einnimmt. Insgesamt haben EY und der Handelsverband 106 Entscheidungsträger von Handelsunternehmen und über 500 Konsumenten in Österreich befragt.

4,3 Millionen kauften online ein

Die nackten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 4,3 Millionen Österreicherinnen und Österreicher zwischen 15 und 60 Jahren kauften zuletzt pro Quartal zumindest einmal online ein. Mehr als jeder Zweite (57 Prozent) erledigt seine Einkäufe sogar monatlich im Internet. Das klingt erstmal dramatisch. Vergleicht man die Österreich-Zahlen aber mit jenen aus anderen Ländern, dann merkt man relativ schnell: Österreich hinkt in Sachen Online-Shopping im internationalen Vergleich sogar deutlich hinterher. Während der Online-Umsatz in Österreich im Jahr 2017 gerade mal 7,4 Prozent der Gesamtumsätze des Handels ausmachte, waren es in den USA 14,8 und in Deutschland 15 Prozent. Im Online-Vorzeigeland Großbritannien werden bereits 17,8 Prozent aller Handelsumsätze übers Internet erwirtschaftet.

Doch der österreichische Onlinehandel hinkt nicht nur hintennach, er kämpft auch noch mit einem anderen Problem, nämlich mit dem digitalen Kaufkraftabfluss. Denn ein großer Teil der Umsätze verlässt das Land, 50 Prozent fließen ins Ausland. Das hängt vor allem auch damit zusammen, dass in Österreich generierte Amazon-Umsätze der deutschen Tochter zugerechnet werden. 

Amazon extrem dominant 

Die Bedeutung von Amazon zeigt auch eine aktuelle Konsumentenstudie des Handelsverbandes und von EY. Auf die Frage „Welches Unternehmen kommt Ihnen beim Online-Kauf sofort in den Sinn?“ antworten 69 Prozent der Befragten mit Amazon. Platz zwei in der Studie belegt Zalando mit vier Prozent, Platz drei geht an Thalia mit zwei Prozent. Billa kommt gerade mal auf ein Prozent. Auf die Frage, bei welchem Online-Händler sie schon mal eingekauft haben, antworteten 93 Prozent der Befragten mit Amazon. Auch die nackten Umsatzzahlen sprechen eine deutliche Sprache: Zuletzt setzte Amazon.de in Österreich 556 Millionen Euro pro Jahr um. „Rechnet man die Umsätze der Drittanbieter des Amazon-Marketplace sowie die Umsätze durch Bestellungen bei Amazon.com dazu, kommt man sogar auf einen Jahresumsatz von 1,2 Milliarden Euro“, erklärt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Zum Vergleich: Amazons erster Verfolger, nämlich Zalando, setzte zuletzt in Österreich 174 Millionen Euro im Jahr um. Die 250 größten Onlineshops in Österreich erwirtschaften mittlerweile 2,5 Milliarden Euro jährlich, allein im letzten Jahr sind die Umsätze um 8,6 Prozent gestiegen. „Diese anhaltende Dynamik im E-Commerce führt zu einer immer stärkeren Marktkonzentration, das heißt immer weniger große Händler teilen sich einen immer größeren Anteil am Kuchen. So erwirtschaften die zehn größten Online-Händler Österreichs zusammen mit 1,2 Milliarden Euro fast die Hälfte des Gesamtumsatzes“, so Will. Ein interessanter Aspekt in diesem Zusammenhang: Während im stationären LEH der Österreich-Bonus bei Produkten eine große Rolle spielt, fällt dieser im Online-Geschäft fast völlig weg. Nur 15 Prozent aller Kunden achten darauf, ob es sich im Internet um einen österreichischen Shop handelt. 

Österreich als Europas Flächenkaiser

Hinzu kommt, dass in Österreich nach wie vor außergewöhnlich stark auf den stationären Handel gesetzt wird. In keinem anderen europäischen Land ist die Dichte an Verkaufsfläche pro Kopf so hoch wie hierzulande. Mit 1,67 m² pro Einwohner liegen heimische Händler vor Belgien (1,64 m²) und den Niederlanden (1,61 m²) in dieser Statistik auf Platz eins. Zum Vergleich: In Großbritannien kommen auf jeden Einwohner nur 1,09 m² Verkaufsfläche. Für viele Retailer in Österreich bedeutet der starke Fokus auf Filialen laut Handelsverband eine Gefahr: Rückläufige Marktanteile und geringere Renditen drohen. Die Folge: Österreichs Handelsunternehmen müssen sich dringend an die neuen Rahmenbedingungen anpassen – und wollen das auch: Fast drei Viertel (73 Prozent) passen ihr Vertriebsmodell laut einer aktuellen Händlerumfrage von EY in den nächsten drei Jahren an. Jeder Zehnte (neun Prozent) möchte sein Unternehmen sogar vollkommen neu erfinden. Erstaunlich angesichts des internationalen Paradigmenwechsels ist aber folgende Zahl: 27 Prozent der österreichischen Händler wollen keine wesentlichen Veränderungen herbeiführen.

„Werden vielleicht nicht überleben“

Die strategische Verknüpfung von Online-Shopping und Filiale zahlt sich für viele Händler bereits jetzt aus: Immerhin 71 Prozent der österreichischen Händler mit Omnichannel-Angebot erzielen mit Kunden, die über mehrere Kanäle einkaufen, höhere Umsätze. Jeder Fünfte macht sogar viel höhere Umsätze mit Omnichannel-Kunden. Allerdings können vier von fünf Händlern die Profitabilität über mehrere Kanäle momentan noch nicht messen. Martin Unger, Partner bei EY Österreich, findet deutliche Worte: „Schon jetzt lassen sich mit Omnichannel-Kunden deutlich höhere Umsätze erzielen, in Zukunft wird dieser Trend noch erheblich stärker werden. Allerdings müssen dabei auch höhere Investitionen in die Rechnung einbezogen werden. Händler ohne attraktive Omnichannel-Lösung werden die nächsten drei bis fünf Jahre vielfach nicht überleben.“ Und Unger weiter: „Viele Retailer müssen sich die Frage stellen, ob sie mit ihrem Geschäfts- und Vertriebsmodell die Zielgruppe der stark onlineaffinen 15- bis 30-Jährigen, die spätestens morgen ihre Kunden sein werden, überhaupt noch attraktiv sind. Der heimische Handel muss den Wandel noch stärker annehmen und sich für diese neue Welt rüsten.“ 

Daten als digitales Gold

Die größten Herausforderungen bei der Einführung von Omnichannel sind aus Sicht der befragten Handelsunternehmen übrigens das nötige Kapital (30 Prozent) sowie erhöhte Anforderungen an die Daten- und IT-Sicherheit und mangelnde personelle Ressourcen (je 27 Prozent). Apropos Daten: Für 67 Prozent der befragten Händler wird die Generierung von Kundendaten sehr relevant oder zumindest relevant werden. Gerade mal vier Prozent empfinden das als wenig relevant. Aber: Nur 26 Prozent der Unternehmen schätzen die eigene Fähigkeit der Datennutzung als sehr ausgeprägt ein. Gerade im Lebensmittelhandel wird das Thema Daten seit jeher sehr kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite setzt Rewe bei Merkur und Billa stark auf das Kundenkarten-System und die dadurch gewonnenen Daten. Auf der anderen Seite weigerte sich Verfolger Spar bisher, ein entsprechendes System zu implementieren.

Sieben Thesen zur Zukunft des Handels

Angesichts der Fülle an Zahlen und Fakten haben der Handelsverband und EY sieben zentrale Thesen zum Ist-Zustand und zur Zukunft des österreichischen Handels postuliert:

1. Der österreichische Handel steht vor weitreichenden Veränderungen und Umwälzungen.

2. Omnichannel wird – gemeinsam mit klarer strategischer Positionierung – zu dem entscheidenden Erfolgsfaktor.

3. Der Großteil der österreichischen Händler ist bestrebt, Omnichannel umzusetzen, jedoch besteht großer Aufholbedarf gegenüber den internationalen Benchmarks.

4. Der Angriff der „Digital Champions“ wird auch die österreichische Handelslandschaft nachhaltig prägen und verändern.

5. Das Einkaufsverhalten wird primär über das Web gesteuert. Der sogenannte „Beratungsdiebstahl“, also dass Menschen sich im Geschäft informieren und online einkaufen, wird überschätzt.

6. Die Datenkompetenz wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Hier gibt es deutliche Defizite bei österreichischen Retailern.

7. Omnichannel bietet umfassende Chancen für Retailunternehmen jeder Größe, jedoch ist eine rechtzeitige und umfassende Umsetzung entscheidend.