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© Hannes Eisenberger

RÜCKBLICK AUF 2022

Ein extrem schwieriges Jahr

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 21.12.2022 - 11:24

Es hätte eigentlich das Jahr werden sollen, in dem es nach zwei sehr schwierigen Pandemiejahren wieder aufwärtsgeht: 2022. Das entscheidende Wort im Einstiegssatz ist aber „hätte“. Denn dann kam alles anders. Die Corona-Krise rückte zwar etwas in den Hintergrund, ist aber immer noch nicht ausgestanden, zumal die wirtschaftlichen Folgen der beiden ersten Seuchenjahre auch ins nun zu Ende gehende Jahr hineinwirkten. Hinzu kamen die weltpolitischen Verwerfungen, die für die Weltwirtschaft schwere Folgen nach sich ziehen sollten. Die Rede ist vom russischen Angriff auf die Ukraine, der eine Energiekrise und eine Preisspirale nach oben auslöste. Diese Katastrophe traf auch Österreich hart. Die Inflation kletterte in lichte Höhen. Im Oktober erreichte die Teuerung mit elf Prozent ihren vorläufigen Höchstwert. Im November folgte dann eine leichte Entspannung. Laut vorläufiger Schnellschätzung der Statistik Austria ging sie leicht auf 10,6 Prozent zurück. Wobei die Nachricht gerade für die Lebensmittelbranche nicht unbedingt eine gute ist. Zwar steigen die Energiepreise immer noch am stärksten, allerdings nicht mehr so kräftig wie im Vormonat. Gegenüber November 2021 lagen sie immer noch 34,9 Prozent höher. Die Preise von Nahrungs- und Genussmitteln stiegen hingegen um 13,6 Prozent. Hier verstärkte sich der Preisauftrieb im November sogar.

Marktvolumen: vom Minus ins Plus

Die Entwicklung der Teuerungsrate hatte naturgemäß auch gravierende Auswirkungen auf das Marktvolumen im LEH. Wie stark die Verwerfungen heuer sind, lässt sich erahnen, wenn man auf den Zeitraum vor und nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs blickt. Im Jänner 2022 etwa hatte sich das von NielsenIQ ausgewiesene Marktvolumen im österreichischen LEH im Vergleich zum Vorjahresmonat noch negativ entwickelt. Im ersten Monat des Jahres betrug das Minus 3,6 Prozent. Am 24. Februar folgte dann in Sachen Preisentwicklung der große Wendepunkt. An diesem Tag marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. Sieben Monate später, also Ende September, lag das Plus beim Marktvolumen aufgrund der steigenden Inflation bei elf Prozent. Im Oktober gab es dann eine leichte Entspannung. Das Plus betrug „nur“ 8,9 Prozent. Für November und Dezember lagen bei Redaktionsschluss naturgemäß noch keine Daten vor. Akkumuliert liegt das Plus nach zehn Monaten bei 4,1 Prozent. Dieser Wert dürfte sich aber in den vergangenen beiden Monaten noch nach oben entwickeln.

Handel gegen Industrie

Die große Frage ist aktuell: Wer muss die Folgen der Teuerungswelle austragen? Handel und Produzenten schieben sich aktuell in dieser Frage den Schwarzen Peter zu. Während der Handel an die Industrie appelliert, bei den Preisverhandlungen nicht allzu forsche Erhöhungen einzufordern, klagen viele Markenartikler darüber, dass sie sich angesichts der stark gestiegenen Produktionskosten vom Handel bei der künftigen Preisgestaltung im Stich gelassen fühlen. Hinzu kommt das Verhalten von börsennotierten Herstellern, die von ihren Shareholdern zum Wachstum „verdammt werden“, wie ein Handelsmanager im Gespräch mit KEYaccount betonte. Und dieses Wachstum soll 2023 teilweise durch Preiserhöhungen erreicht werden.

Ein Riese macht Druck

Dass es sich dabei nicht um erfundene Schreckensszenarien von Industrie-aversen Handelsmanagern handelt, zeigt ein aktuelles Beispiel aus Großbritannien.  Dort wandte sich Damian Gammell, seines Zeichens CEO des Getränkeabfüllers Coca-Cola Europacific Partners, am Kapitalmarkttag seines Unternehmens direkt an die Anlegerinnen und Anleger und kündigte Verhandlungen für baldige Preiserhöhungen an: „Wir werden im ersten Quartal wieder an den Handel herantreten“, wird Gammell im deutschen Fachmagazin „Lebensmittelzeitung“ zitiert. Gerade in Deutschland befindet sich Coca-Cola in einer heiklen Situation. Zuletzt wollte Marktführer Edeka einen Preisaufschlag von durchschnittlich rund zehn Prozent nicht akzeptieren, woraufhin Coca-Cola Europacific Partners mit einem Lieferstopp für den Händler und dessen Discounttochter Netto reagierte. Der Streit wurde inzwischen beigelegt. Das dürfte aber weniger an einer echten Annäherung der beiden Unternehmen, sondern mehr am bevorstehenden Weihnachtsgeschäft liegen. Diese Umsätze wollten sich beide Unternehmen dann doch nicht entgehen lassen.

Fakt ist aber, dass auch in Österreich Handel und Industrie bei den Themen Energiepreise und Inflation im selben Boot sitzen. Fakt ist aber auch, dass das Verhältnis zwischen den beiden großen Polen beziehungsweise Partnern in der Branche aktuell eisiger denn je erscheint. Eines lässt sich fürs kommende Jahr auf jeden Fall prophezeien: Handel und Industrie werden sich in Sachen Preisgestaltung ein hartes Match liefern.

Spar vergrößert Abstand

Apropos Österreich: Das Match Handel gegen Industrie ist nur eine Seite der Medaille. Ein anderer Kampf, nämlich der um Marktanteile, wird unter den Händlern ausgefochten. Und hier ist das Match längst entschieden. KEYaccount liegen die NielsenIQ-Marktdaten für die ersten zehn Monate des Jahres vor und diese sprechen eine deutliche Sprache. Demnach hält Spar bei 36,1 Prozent. Verfolger Rewe kommt auf 33,6 Prozent. Das bedeutet, dass die beiden größten Player bereits ein Abgrund von 2,5 Prozentpunkten trennt. Dieser Abstand ist in nur zwei Monaten nicht einmal theoretisch aufzuholen. Mehr noch: Spar konnte heuer den Vorsprung auf Rewe weiter ausbauen. Nach zehn Monaten des Vorjahres betrug der Abstand der beiden zwei Prozentpunkte, im Gesamtjahr 2021 sogar 2,1 Prozentpunkte. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren Spar in keinem anderen Monat so gut performt hat wie im Dezember. Die Vermutung liegt nahe, dass sich gerade die Hypermarkt-Schiene Interspar im so wichtigen Weihnachtsgeschäft besonders gut bewährt. Es ist also gut möglich, dass sich der Abstand zwischen Spar und Rewe in den verbliebenen Wochen noch um den einen oder anderen Zehntel-Prozentpunkt vergrößern wird.

Diskonter legen wieder leicht zu

Leicht zulegen konnten hingegen die Diskonter. Hofer und Lidl werden von Niel­senIQ bekanntlich gemeinsam ausgewiesen und kommen nach zehn Monaten auf einen Marktanteil von 23,4 Prozent. Das sind um 0,2 Prozentpunkte mehr als in der Vorjahresperiode. Dramatisch sind die Zahlen, wenn man sie im Fünf-Jahres-Abstand ansieht. Ende 2017 kamen Hofer und Lidl gemeinsam noch auf einen Marktanteil von 26,6 Prozent. Seit damals haben die Diskonter also ganze 3,2 Prozentpunkte eingebüßt. Trotzdem müssen die Diskonter und hier insbesondere Hofer zufrieden sein. Die jahrelange Talfahrt wurde heuer endlich gestoppt und eine Trendumkehr eingeleitet. Federn lassen musste heuer auch Markant. Ein Minus von 0,2 Prozentpunkten in den ersten zehn Monaten ist angesichts eines Marktanteils von 3,2 Prozent keine Kleinigkeit.

Stunde der Preiseinstiegsmarken

Auch bei den Produkten im Regal hinterlässt die hohe Inflation Spuren. Aktuell schlägt die Stunde der Preiseinstiegsmarken. Hinter vorgehaltener Hand erzählen mir Handelsmanagerinnen und -manager, dass es im Preiseinstiegs-Sortiment heuer Zuwächse im niedrigen zweistelligen Bereich gibt. Premium-Eigenmarken konnten heuer hingegen deutlich schwächer zulegen. Schlechte Nachrichten in Sachen Sortiments-Mix gibt es für Markenartikler, denn der Eigenmarken-Anteil soll heuer wieder gestiegen sein – dem Vernehmen nach auf einen Wert, der deutlich über 30 Prozent liegt.

Einkaufsfrequenz sinkt, Aktionen steigen

Auch die RollAMA-Zahlen für die ersten drei Quartale des Jahres zeichnen ein interessantes Bild der aktuellen Lage: Die Preissteigerungen für die RollAMA-Frischeprodukte lagen im September bei 12,8 Prozent, also über der allgemeinen Inflationsrate von 10,7 Prozent. Der heurige Höchststand zeigte sich im August mit über 15 Prozent. Die höchsten Ausschläge sind bei Butter, Milch, Käse und Eiern im Vergleich zum Vorjahr zu beobachten. Wesentlich geringer als bei Fleisch (plus 16 Prozent) fallen die Preiserhöhungen für Wurst und Schinken mit sieben Prozent aus. Preiserhöhungen führten außerdem zu rückläufigen Einkaufsfrequenzen. Gleichzeitig stagnieren die Mengen pro Einkauf. Der Bedarf an Milch, Fleisch und Gemüse sank in den ersten drei Quartalen besonders stark. Trotz höherer Preise konnten nur in wenigen Warengruppen wie Butter und Eier Umsatzzuwächse erzielt werden. Logischerweise nehmen in Zeiten einer hohen Inflation auch die Aktionen zu. Bald ein Drittel der Ausgaben in den RollAMA-Kategorien entfällt bereits auf Aktionsprodukte. Butter und Fleisch bleiben die Kategorien mit den höchsten und steigenden Aktionsanteilen.

Interessantes Detail zum Schluss: Der Anteil der Ausgaben für Bioprodukte im LEH erreichte in den ersten drei Quartalen heuer einen Höchstwert von zwölf Prozent. Im Verlauf der Monate Juli 2021 bis September 2022 ging der Anteil mit starken Preissteigerungen etwas zurück und fiel im September auf insgesamt zehn Prozent.