COVER-STORY KEYACCOUNT 9-10/2020

Das Duell um die Nummer 1

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 02.06.2020 - 14:09
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© Hannes Eisenberger

Es wird eine der Branchenschlagzeilen des Jahres sein: Spar überholt Rewe. Viele Jahre, ja Jahrzehnte lang war die Vorherrschaft des Rewe-Konzerns einzementiert. Zu stark waren die Wiener Neudorfer in Ostösterreich aufgestellt, zu west-orientiert schien der Salzburger Herausforderer Spar viele Jahre positioniert. Doch in den vergangenen Jahren zeichnete sich immer deutlicher ab, dass Spar das Unmögliche schaffen könnte. Seit einigen Jahren schon kann sich Spar als Wachstumsführer im Bereich der Vollsortimenter bezeichnen. Dabei war der Vorsprung der Rewe noch vor Kurzem sehr beachtlich. Ende 2018 hielten die Wiener Neudorfer bei 34,1 und die Salzburger bei 31,9 Prozent. Allein im Vorjahr legte das Unternehmen beim Umsatz um 4,7 Prozent zu. 2019 steigerte Spar den Marktanteil so um 0,8 Prozentpunkte auf den mit Jahresende historischen Höchststand von 32,7 Prozent.

Eine beispiellose Aufholjagd

Die Erfolgsserie wird noch deutlicher, wenn man sich den langfristigen Vergleich ansieht: Im Jahr 2009, also nur zehn Jahre davor, lag Spar bei einem Marktanteil von 28,4 Prozent – das waren ganze 4,3 Prozentpunkte weniger als im Jahr 2019. Im Februar dann die Sensationsmeldung: Laut Nielsen kletterte Spar auf 33,8 Prozent und stieß die Rewe vom Thron. Ein einmaliger Ausreißer nach oben, vermuteten viele Marktbeobachter. Die monatlichen Marktanteile schwanken bekanntlich. Doch dann kam die Corona-Krise und plötzlich war alles anders. Spar wuchs während der Pandemie um 23 Prozent, während der gesamte Lebensmittelhandel „nur“ um 12,6 Prozent zulegen konnte. Das schlug sich auch im Marktanteil nieder: Spar landete im April bei unglaublichen 35,6 Prozent. Gesehen über den Zeitraum der ersten vier Monate des Jahres, liegt Spar bei einem Marktanteil von 34,0 Prozent und ist damit im ersten Tertial Marktführer im heimischen Lebensmittelhandel.

„Konsistent versus inkonsistent“

Spar-Vorstandsvorsitzender Gerhard Drexel sieht für die aktuelle Entwicklung mehrere Faktoren verantwortlich: „Das ist zum einen ein seit Jahrzehnten praktiziertes Eintreten und Forcieren unserer österreichischen, regionalen und lokalen Partnerlieferanten aus Industrie, Handwerk und Landwirtschaft. Zum anderen ist es unser engagierter Einsatz für stabile Preise und attraktive Preisangebote für unsere Kundinnen und Kunden in ganz Österreich.“ Auch den selbstständigen Spar-Kaufleuten und den Mitarbeitern sei der Erfolg zu verdanken. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Spar profitierte auch von den Fehlern des Mitbewerbs, wie der bekannte österreichische Marken-Experte Michael Brandtner erklärt: „Dieses Duell Rewe versus Spar zeigt sehr schön, wie sich konsistente versus inkonsistente Markenführung auswirkt.“ Und Brandtner weiter: „Während man bei Billa und Merkur an den Werbelinien bastelte, Stichwort Hausverstand oder Ano Nym, suchte und sucht die Spar aktiv die Themenführerschaft in PR und Werbung. Heißt: Rewe hat zwar sehr gut positionierte Eigenmarken wie Ja! Natürlich oder Hofstädter, nur auf die klare Positionierung der Handelsketten selbst hat man anscheinend vergessen, vor allem hat man aber vergessen, Billa als Nummer 1 zu positionieren.“ Spar habe, so Brandtner weiter, ebenfalls starke Eigenmarken wie S-Budget oder Spar Premium, aber zusätzlich eine sehr konsequente Linie in PR und Werbung. Und der Markenexperte sieht noch einen entscheidenden Erfolgsfaktor, nämlich die Person Gerhard Drexel selbst: „Drexel hat sich auch klar als Sprecher für die eigene Marke und oft auch für den LEH in Summe etabliert.“

Welche Rolle spielten Aktionen?

In der Wiener Neudorfer Konzernzentrale der Rewe Group nimmt man die Wachablöse sportlich. „Erst beim Zieleinlauf wird sich dann entscheiden, wer 2020 vorne liegt. Nichtsdestotrotz gratulieren wir unserem Mitbewerber zu seinem Erfolg in einzelnen Monaten“, sagt Konzernsprecherin Ines Schurin. „Üblicherweise betrachten wir in der Branche Marktanteilsvergleiche pro Jahr, da speziell in unserer Branche die Dynamik sehr hoch und saisonal unterschiedlich ist.“ Und Schurin weiter: „Wir haben heuer ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen – im Januar hatte unser größter Mitbewerber die Nase vorne, im Februar wir, im März hatten wir den größten Marktanteilszuwachs seit Langem, im April hat es sich wieder gedreht. Interessantes Detail: Schurin argumentiert, dass die verhaltene Aktionspolitik der Rewe-Handelsfirmen einer der Mitgründe dafür gewesen sei, dass man zuletzt schwächer als Spar gewachsen ist: „Wir und einige andere – aber eben nicht alle – Marktteilnehmer haben gerade in der Corona-Zeit unsere Aktionstätigkeit stark zurückgefahren. Wir wollten das System und die Produzenten in dieser Ausnahmesituation nicht überbelasten. Das hatte natürlich Auswirkungen im Umsatz.“

Billa und Merkur wuchsen verhalten

Apropos Umsatz: Dieser Tage legte Rewe auch endlich die Umsatzzahlen für 2019 vor. Zwar veröffentlichte der deutsche Mutterkonzern bereits im Vormonat die Zahlen für Österreich (siehe KEYaccount Ausgabe 7/8 2020), jedoch beinhalteten diese Netto- satt Brutto-Umsätze und auch die Penny-Umsätze in Österreich blieben ausgeklammert. Nun also die „österreichischen Zahlen“: Der Gesamtbruttoumsatz Österreich (Handel und Touristik) stieg demnach im Vorjahr um 1,06 Prozent auf 8,74 Milliarden Euro. Für den Lebensmittelhandel wies das Unternehmen ein Plus von 2,85 Prozent aus. Wobei unklar bleibt, wie diese Zahl zustande gekommen ist. Denn keine der einzelnen Vertriebsschienen ist um 2,85 Prozent gewachsen. Konkret konnte Billa 2019 um 1,31 Prozent zulegen. Merkur trat mehr oder weniger auf der Stelle und legte leicht um 0,45 Prozent zu. Penny konnte 2019 im extrem hart umkämpften österreichischen Diskont‐Markt um 2,26 Prozent zulegen. Adeg (Großhandel, selbstständige Kaufleute und AGM) steigerte 2019 den Umsatz um 2,26 Prozent. Bipa verzeichnete mit einem Plus von 1,86 Prozent auch 2019 ein positives Umsatzwachstum. Die überraschend positive Entwicklung des einstigen Problemfalls Bipa zeigt aber, dass die Restrukturierungsmaßnahmen der Rewe langsam aber sicher greifen. Und eines ist auch sicher: Rewe-Vorstand Marcel Haraszti und seine Mannschaft werden den Verlust der Marktführerschaft nicht kampflos hinnehmen. Bleibt abzuwarten, wie sie reagieren werden. Das in jeder Hinsicht außergewöhnliche Jahr 2020 bleibt hochspannend – und der Zweikampf geht in die nächste Runde.