Cover-Story Keyaccount 07-08/2020

Österreich wagt den Neustart

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 12.05.2020 - 10:07
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© Hannes Eisenberger

Alle Ampeln auf grün: Zumindest die Geschäfte haben in Österreich seit vergangenem Samstag wieder geöffnet. Nun gilt es aus den Erfahrungen des Lockdowns die richtigen Lehren zu ziehen. Eines zeichnet sich bereits jetzt ab: Die Bevölkerung ändert ihr Einkaufsverhalten und kauft verstärkt regionale Produkte.

Seit vergangenem Samstag herrscht im Handel wieder so etwas wie Normalität. Oder wie es im Corona-geprägten Politsprech heißt: Es herrscht die neue Normalität. Will heißen: Die Geschäfte, so sie in den vergangenen Wochen nicht in den Konkurs geschlittert sind, haben wieder geöffnet. Die Bilder vom Samstag gingen durch die Medien. Lange Schlangen sowohl vor den Ikea-Einrichtungshäusern des Landes als auch vor den Nobelboutiquen der Wiener Luxusmeile Kohlmarkt. Der Fall ist klar: Viele Konsumentinnen und Konsumenten wollen wieder konsumieren. Das sonnige Wetter begünstigte an diesem denkwürdigen „ersten Einkaufssamstag“ vor allem Innenstadtlagen und Einkaufsstraßen, viele Bezirksstädte meldeten gute Frequenzen. Selbiges gilt auch für Fachmarktzentren und Shoppingcenter. Die Frequenz hielt bis zum späten Nachmittag relativ stabil an, gegen Ladenschluss lichten sich nun die Reihen. Eine vom Handelsverband in Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut Mindtake durchgeführte Blitzumfrage zeigt, dass immerhin 16 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher am 2. Mai shoppen waren. Am konsumfreudigsten zeigte sich dabei die Gruppe der 30- bis 39-Jährigen, von denen rund ein Viertel an diesem Tag auf Schnäppchenjagd ging. Wenig überraschend: Die älteren Österreicherinnen und Österreicher über 60 Jahren verhielten sich zurückhaltender. Gerade mal sieben Prozent von ihnen hatten am Samstag einen Einkauf geplant. Interessante Detailergebnisse bringt der Blick auf die Bundesländer. Am höchsten war die Shopping-Lust in Vorarlberg (27 Prozent), am niedrigsten in Kärnten (7 Prozent). In Wien planten 19 Prozent einen samstäglichen Einkauf.

Bevölkerung kauft mehr regionale Produkte

Doch die Studie weiß noch mehr: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nämlich 51 Prozent, kauft seit dem Beginn der Corona-Krise verstärkt regional. Insbesondere die jungen Konsumenten (18-29 Jahre) legen einen großen Fokus auf den regionalen Einkauf, 58 Prozent kaufen seit der Krise verstärkt bei heimischen Anbietern ein. Auch die Käufergruppe 60 plus legt mit über 52 Prozent ein solidarisches Kaufverhalten an den Tag. Im Bundesländervergleich liegen die Tiroler (72 Prozent) an der Spitze des Regionalität-Trends, dicht gefolgt von Kärnten (67 Prozent), der Steiermark (57 Prozent), Vorarlberg (50 Prozent), Wien (50 Prozent) und Niederösterreich (49 Prozent). Auf den Plätzen folgen Oberösterreich (43 Prozent), Salzburg (37 Prozent) und das Burgenland (35 Prozent). Verstärktes regionales Kaufverhalten führt zwangsläufig dazu, dass überregionale Produkte weniger gekauft werden.

Sollte der Trend auch außerhalb von Österreich belegbar sein, was sehr wahrscheinlich ist, dann wären das keine guten Nachrichten für die exportorientierten österreichischen Hersteller. Und ein weiteres Problem setzt den Herstellern zu: Jene Produzenten, die geschäftlich stark mit der Gastronomie verzahnt sind, werden auch in den kommenden Wochen mit Umsatzausfällen zu kämpfen haben. Die Öffnung der Gastronomiebetriebe wird zwar am 15. Mai erfolgen und die Beherbergungsbetriebe sollen am 29. Mai folgen, trotzdem bleiben viele Fragen offen. Erstens: Wie viele Lokale und Hotels bleiben nach Wochen des Shutdowns für immer geschlossen? Zweitens: Wie hoch werden die Umsatzeinbußen der Gastronomen angesichts der räumlichen Begrenzungs-Regeln in den Lokalen wirklich sein? Und drittens fällt die Catering- und Event-Gastronomie bis auf weiteres aus. Besonders hart sind die Bierbrauer des Landes betroffen. Sie leiden nicht nur unter der Schließung der Gastronomie-Betriebe, sondern auch unter dem Ausfall aller Sportveranstaltungen. Besonders hart trifft die Bier-Branche die Absage der Fußball-EM, die heuer hätte stattfinden sollen und nun auf 2021 verschoben wurde.

Mehrkosten für den LEH

Und der Lebensmittelhandel? Der ist am Höhepunkt der Krise seinen Mann gestanden. Oder besser: Er ist seine Frau gestanden. Denn immerhin ist der überwiegende Teil der Belegschaft, die vor Ort in den Filialen arbeitet, weiblich. Das in den Medien oft verbreitete Narrativ vom „großen Gewinner“ der Krise stimmt freilich nicht ganz. Zwar wurden die Ketten vor allem zu Beginn der Krise regelrecht gestürmt, schon bald aber pendelte sich das wieder ein. Sicher: Durch den Wegfall der Gastronomie konnte der LEH Umsatzzuwächse verbuchen. Relativ schnell zeichnete sich ein Muster ab:

Die durchschnittliche Einkaufsfrequenz sank, die Bonsumme eines typischen Einkaufs erhöhte sich dafür. Der LEH stand zudem schnell vor großen logistischen Herausforderungen. In Windeseile mussten Tausende Filialen fit für die neuen Herausforderungen der Pandemie gemacht werden. Von der Errichtung von Plexiglaswänden in den Kassabereichen bis hin zu zusätzlichem Personal, das beim Supermarkt-Eingang für einen geordneten Einlass sorgte – die Kosten der Ketten waren massiv. So hat etwa Rewe alleine in Deutschland einen dreistelligen Millionenbetrag für diverse Maßnahmen in den Filialen ausgegeben. Und weil vorhin vom Personal die Rede war: Während in Österreich große Teile der Bevölkerung entweder den Job ganz verloren oder zur Kurzarbeit angemeldet wurden, fungierte der LEH als „Einstellungs-Maschine“. Allein die Rewe besetzte innerhalb von wenigen Tagen in Österreich 2.000 Stellen neu, wie Rewe-Sprecher Paul Pöttschacher KEYaccount telefonisch verriet. Alleine dieser Einstellungsprozess stellte die HR-Abteilung vor gewaltige logistische Herausforderungen. So erhielt die Rewe innerhalb von wenigen Tagen 13.000 Bewerbungen. Bei den Mitbewerbern dürfte sich Ähnliches abgespielt haben.

Diese Woche wird Österreichs Handel wieder hochgefahren. Die Zahl der Infektionen wird wohl wieder nach oben gehen. Wie stark wird dieser Zuwachs sein? Das ist die große Frage, die aktuell niemand seriös beantworten kann. Klar ist: An das Worst-Case-Szenario von einem schnellen, zweiten Lockdown will vorerst niemand denken. Österreich hat sich in dieser globalen Krise bisher im internationalen Vergleich hervorragend geschlagen. Vertrauen wir auf unsere Disziplin und darauf, dass die positive Entwicklung weiter anhält – auch mit einer neugestarteten Wirtschaft.