GS1 AUSTRIA-CHEF IM INTERVIEW

„Herkunft, Rückverfolgbarkeit und Regionalität werden noch wichtiger”

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 25.01.2021 - 14:22
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GS1 Austria-Geschäftsführer Gregor Herzog ist seit wenigen Tagen Vorsitzender von GS1 in Europe. © Katharina Schiffl

KEYaccount: Wie hat sich das Covid-Jahr 2020 auf die Tätigkeiten von GS1 Austria ausgewirkt?
Gregor Herzog: Wir sind erst mal stolz darauf, dass in diesem schwierigen Jahr alles problemlos gelaufen ist. Unsere Kunden haben datenseitig von Covid natürlich nichts gemerkt, weil unsere Systeme alle stabil waren. Egal ob der elektronische Datenaustausch bei unserer Tochter EDITEL oder unser Stammdatenpool – es hat alles reibungslos funktioniert. Auch die Virtualisierung unseres Büros hat gut geklappt. Da hatten wir aber Glück, weil wir das virtuelle Büro schon im September 2019 implementiert haben.

GS1 Austria war also ein Pionier in Sachen Mobile Office?
Pionier würde ich nicht sagen, da sind andere Branchen schon wesentlich weiter. Aber unsere Intention war natürlich eine andere. Unser Ziel war es, dass jedes Teammitglied, das einen Kunden besucht, vollen Zugriff auf alle Daten hat. Außerdem bin ich selbst international viel unterwegs und wollte von überall aus mit unseren Daten arbeiten können. Darum hatten wir ein halbes Jahr vor dem ersten Corona-Ausbruch alle Systeme so umgestellt, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von überall aus arbeiten können. Mehr noch: Wir können unsere Systeme auch von jedem Ort aus warten. Keine Frage: Hätten wir das alles nicht schon 2019 umgesetzt, hätten wir im Vorjahr im Zuge der Corona-Krise mehr Stress gehabt.

Wie viele Daten-Transaktionen wurden über Ihre Plattformen getätigt?
Wir verzeichnen etwa 400 Millionen Transaktionen im Jahr, wobei es im Vorjahr eher mehr waren als in den vergangenen Jahren.

Was hat sich im Vorjahr bei Ihren Kunden, die Lebensmittel produzieren, im Zuge der Corona-Krise verändert?
Wir haben festgestellt, dass sich die Vertriebskanäle geändert haben. Zum Beispiel haben sich Food Start-ups, die früher nur im Direktvertrieb verkauft haben, plötzlich viel stärker für Marktplätze oder den stationären Handel interessiert. Dadurch konnten wir auch viele kleine Neuverträge abschließen. In Summe reden wir hier von rund 1.000 neuen Kunden. Viele Start-ups haben verstanden: Amazon allein reicht als Vertriebskanal vielleicht auch nicht aus.

Hat sich auch im Lebensmittelhandel etwas verändert?
Ja, natürlich! Auch im stationären Handel schreitet die Digitalisierung voran. Das betrifft vor allem die Lieferantenanbindung im Obst- und Gemüsebereich. Wo man früher eher hemdsärmelig agiert hat, arbeitet der Handel heute strukturierter. Wenn alles nur an einer Person – etwa an einem guten Einkäufer – hängt,  dann ist man halt auch nicht so krisensicher, wie wenn die Prozesse durchstrukturiert sind.   

Ist es vielleicht sogar ein positiver Nebeneffekt von Covid, dass der Lebensmittelhandel krisenfester geworden ist?
Ja, das kann man sicher so sehen. Ich denke, dass man sich in der Branche plötzlich die Frage gestellt hat, wie anfällig diese komplexen Lieferketten wirklich sind.

Wo sehen Sie aus Sicht von GS1 Austria die großen Branchenthemen für 2021?
Die Themen Herkunft, Rückverfolgbarkeit und Regionalität werden vor allem im Frischebereich noch wichtiger. Voriges Jahr im April ist die letzte Stufe der Lebensmittelinformationsverordnung in Kraft getreten. Dadurch werden die Herkunftsangaben bei den Primärzutaten viel stärker geregelt. Viele Konsumentinnen und Konsumenten haben gar nicht mitbekommen, dass darum der Claim „Hergestellt in Österreich“ von vielen Etiketten verschwunden ist. Früher hieß es: Wurst aus Österreich – auch wenn vielleicht mal eine Schweinefleisch-Charge aus Polen gekommen ist. Das ist dank der neuen Regelungen nicht mehr möglich. Jetzt haben Hersteller und Ketten die Möglichkeiten, sich noch stärker vom Mitbewerber abzuheben. Ein Beispiel hierfür ist Billa, der nur mehr Frischfleisch aus Österreich verkauft.

Wir verzeichnen etwa 400 Millionen Transaktionen im Jahr, wobei es im Vorjahr eher mehr waren als in den vergangenen Jahren.


Gregor Herzog, GS1 Austria-Geschäftsführer

Gibt es noch Themen, die wichtig werden, obwohl sie vielleicht noch nicht so stark im Fokus der Öffentlichkeit stehen wie die Herkunft?
Das Thema Kreislaufwirtschaft, das auch von der EU forciert wird, gewinnt immer mehr an Bedeutung. Es geht hier vor allem um zirkulare Verpackungen. Wir wissen leider noch nicht, was beim Thema Einwegpfand passieren wird. Aber wir wissen, dass uns die Kreislaufwirtschaft in Zukunft noch stärker beschäftigen wird.

Immer mehr Informationen bedeuten auch immer mehr Daten. Wie kann man als GS1 Austria hier die Qualität der zur Verfügung gestellten Daten gewährleisten?
Einer unserer Claims lautet: 97 Prozent der Daten in unserem Datenpool stimmen. Ich behaupte sogar, dieser Prozentsatz ist noch höher. Wir beschäftigen allein zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich ausschließlich mit dem Thema Datenqualität befassen. Es gibt bei uns etwa 500 Dateneinsteller. Das bedeutet, dass auf einen Qualitätsmanager bei uns 50 Kunden kommen. Wir arbeiten also sehr eng mit unseren Kunden zusammen und überprüfen laufend, ob Daten stimmen, ob sie aktuell sind oder ob etwas geändert wurde. Wenn man sich die österreichischen Onlineshops ansieht – egal ob das Rewe, Spar oder kleinere Player wie Kastner und Kiennast sind –, dann merkt man schnell: Alle verwenden dieselben Daten, die sie vom Stammdatenservice GS1 Sync beziehen und direkt in ihre jeweiligen Onlineshops stellen. Unsere Kunden ersparen sich dadurch enorm viel Arbeit.  

Der Strichcode ist bald 50 Jahre, hat also schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Wann wird sich hier die nächste Technologie durchsetzen?
In der pharmazeutischen Branche hat sich der GS1 DataMatrix, also der 2D-Code, bereits durchgesetzt und ist schon Standard. In der Lebensmittelbranche wird das wohl noch ein paar Jahre dauern, also vielleicht bis zum Ende der 2020er-Jahre. Der 2D-Code hat gegenüber dem linearen Strichcode einige Vorteile, so ist er zum Beispiel robuster. Auch wenn er beschädigt ist, kann er noch eingelesen werden. Außerdem passen mehr Informationen drauf. Ein simples Beispiel wäre zum Beispiel das Ablaufdatum. Wenn ich als Händler eine 25-Prozent-Aktion auf Lebensmittel habe, die bald ablaufen, kann ich diese Info direkt in den 2D-Code packen. Freilich: Bei Waschmittel zum Beispiel brauche ich Mehrinformationen wie das Ablaufdatum eher weniger. Da stellt sich die Frage, ob der Strichcode nicht ausreicht. Und ein weiteres Problem: In Österreich gibt es die notwendigen Scanner flächendeckend, um den 2D-Barcode zu lesen. Viele Hersteller exportieren aber auch in Länder, wo das noch nicht der Fall ist. Wenn ein Hersteller für jedes Land einen eigenen Code auf die Verpackung drucken muss, wird es schnell mühsam.

Sie sind seit dem 1. Jänner Vorsitzender von GS1 in Europe. Was bedeutet das für GS1 Austria, dass Sie an der Spitze der europäischen Dachorganisation stehen?
Es bedeutet, dass wir als kleines Land mehr Gewicht in Europa bekommen. Darum engagiere ich mich auch auf internationaler Ebene. Immerhin sind in der europäischen Dachorganisation 48 Länder vereint. Mein Anliegen ist es, dass der zentral- und osteuropäische Raum, in dem GS1 Austria mit unserer Tochter EDITEL stark aktiv ist, mehr Aufmerksamkeit bekommt.