SCHWERPUNKT: BIO, REGIONALITÄT, HERKUNFT 

Junges Gemüse trotzt dem trüben Jahr

Ein Artikel von Johannes Lau | 02.11.2020 - 10:56

Die Naturfreunde vermehren sich stetig: Gewissenloser Konsum entspricht nicht mehr dem Zeitgeist, seitdem den meisten klar ist, dass es für Mutter Erde längst fünf vor zwölf geschlagen hat. Produkte, die bei ihrer Erzeugung unseren Planeten möglichst wenig in Anspruch nehmen, sind daher schon seit einiger Zeit besonders gefragt: Diesen Hunger bemerken zu ihrer Freude auch die hiesigen Bio-Erzeuger: „Grundsätzlich sehen wir hier in den letzten Jahren bedingt durch eine steigende Marktnachfrage ein konstantes Wachstum“, berichtet Christian Jochum, Leiter des Referates Agrarvermarktung und Sonderkulturen der Landwirtschaftskammer Österreich. Rund 25.000 Bio-Betriebe seien hierzulande inzwischen am Werk – damit werde bereits ein Viertel der österreichischen Agrar­fläche von Öko-Bauern beackert. „Daraus ergab sich im ersten Halbjahr 2020 ein Marktanteil von zehn Prozent. Das ist ein europäischer Spitzenwert“, freut sich Jochum. Während durch die Pandemie heuer in fast allen Bereichen vieles zum Erliegen kam, hat Corona in diesem Bereich also dagegen nochmal aufs Gaspedal gedrückt. Viele Menschen verbrachten eben zu Hause mehr Zeit am Herd und hatten im stillen Küchenkämmerlein auf einmal genug Muße zum Nachdenken. Jochum: „Nach dem ersten Schockmoment wurde mehr auf die Herkunft von Produkten geachtet. Regionale Produkte sind zwar nicht automatisch Bio, aber dieses Umdenken kam sicher auch dem Bio-Bereich zugute.“ Trotz dieser gewachsenen Nachfrage mussten die Bio-Produzenten aber trotz alledem nicht bis zum Anschlag produzieren: Lediglich bei Bio-Eiern gab es kurzzeitig eine leichte Unterversorgung. „Hier kann man halt nicht auf Knopfdruck produzieren“, schmunzelt Jochum.

Kistl statt Märkte

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Alles eitel Sonnenschein ist es aber auch nicht für die Bio-Bauern: Die Absatzmöglichkeiten haben sich gerade in diesem Jahr vor allem für die kleineren Produzenten verschärft: Viele Bio-Bauern überlassen den Vertrieb nicht allein dem LEH, sondern bringen ihre Produkte auch immer noch selbst an Frau und Mann – und das ist in einer Zeit der Kontaktsperren und Veranstaltungsverbote nicht so einfach, wie man bei Bio Austria erfährt – jenem Verein, der zwei Drittel der hiesigen Biobauern vertritt. Pressesprecher Markus Leithner: „Es wurden von regionalen Behörden Bauernmärkte abgesagt. Dadurch konnten die Betriebe in den betreffenden Regionen ihre Waren nicht wie gewohnt absetzen.“ Ihre Produkte wurden viele Biobauern aber trotzdem noch los. Wenn aus gesundheitlichen Gründen Abstand gewahrt werden muss, hat der Einkauf direkt beim Landwirt nun einmal deutliche Vorzüge gegenüber dem Supermarktgedrängel: „Viele Bio-Betriebe haben zusätzliche Möglichkeiten zum kontaktlosen Lebensmitteleinkauf direkt ab Hof angeboten. Es wurden etwa Abholstationen eingerichtet.“ Vor allem die Anbieter von Gemüsekisten kamen ins Schwitzen, weil die Abonnements in die Höhe schnellten: „Kistl-Anbieter waren mit einem regelrechten Ansturm konfrontiert und mussten die Neukundenaufnahme stoppen.“ Das lag auch daran, weil es an helfenden Händen mangelte: Durch die geschlossenen Grenzen fehlten landwirtschaftliche Fachkräfte. Trotzdem konnten die Produzenten vor allem im LEH reiche Ernte einfahren: Laut AMA Marketing wurden im ersten Halbjahr 2020 ganze 14,4 Prozent mehr Bio-Produkte gekauft – im Wert entspricht das sogar 20 Prozent mehr.

Es gibt Reis

Derzeit passen eben viele besonders auf, was man dem eigenen Organismus zumutet. Das beobachtet auch Irmgard Schuhmann-Lucny, Österreich-Standortleiterin von Alnatura: „Die aktuelle Pandemie verstärkt das Bewusstsein in Österreich, dass bewusster Konsum und bewusste Ernährung ein wesentlicher Beitrag für die eigene Gesundheit sind. Auch deshalb wächst Bio gerade stark.“ Naturgemäß kann man Bioprodukte aber nicht von den Bäumen pflücken, wie man will. Somit war es für auf solche Waren spezialisierte Händler nicht immer einfach, die Hamsterscharen zu füttern: „Die wohl größte Herausforderung war, die Lieferfähigkeit, insbesondere bei Rohwaren, die nur einmal im Jahr geerntet werden, aufrechtzuerhalten.“ Auch solche Zutaten, die hierzulande üblicherweise nicht produziert werden, weiter anzubieten, sei nicht immer leicht gewesen, da sich auch die Herkunftsländer im Lockdown befanden – Reis aus Indien, Kokos aus Thailand oder Linsen aus der Türkei zählten zu solchen Sorgenkindern. Jedoch habe man diese Probleme vor allem durch Erfahrung und Kontakte lösen können: „Da Alnatura über langjährige und vertrauensvolle Beziehungen zu seinen Herstellerpartnern verfügt, waren wir hier weniger betroffen als andere Marktakteure.“ Auch dm baut auf verlässliche Kooperationen in diesem turbulenten Jahr, sagt Geschäftsführer Harald Bauer: „Langfristige, zuverlässige und faire Partnerschaften haben uns auch in diesem Geschäftsjahr erlaubt, eng zusammenzuarbeiten und – in der Krise entscheidend – im stetigen Austausch und auf kurzen Entscheidungswegen die Warenverfügbarkeit sicherzustellen.“ Und allen Unwägbarkeiten zum Trotz habe man sich in dieser Zeit sogar noch verbessert: „Zu Beginn des Geschäftsjahres 2019/20 haben wir erwartet, das Wachstum der Vorjahre fortsetzen zu können, da der Trend zu Bio und Regionalität ungebrochen scheint. Im Zuge der Covid-19-Krise und den damit verbundenen Maßnahmen, konnten wir unsere Erwartungen sogar nach oben korrigieren.“ Gründe für die guten Umsätze seien die veränderten Lebensgewohnheiten bedingt durch Homeoffice und Homeschooling sowie ein erstarktes Bewusstsein für eine gesunde Ernährung und Lebensweise: „Seit Beginn der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ist deutlich erkennbar, dass unsere Kunden verstärkt zu Hause kochen und essen.“

Laser statt Sticker

Einen Zuwachs in der Bio-Sparte verzeichnete auch Spar seit Beginn der Pandemie: „Es wurden in der Krise mehr Bio-Produkte nachgefragt“, bilanziert Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann. „Die Kunden möchten in unsicheren Zeiten sichere Produkte und das schreiben sie sowohl heimischen als auch Bio-Produkten zu.“ Somit wird vor allem „Natur pur“ heuer wohl noch einmal zulegen: Bereits 2019 verzeichnete Spars Bio-Eigenmarke einen Zuwachs von satten 16 Prozent – womit man den jährlichen Durchschnitt von 14 Prozent im letzten Jahrzehnt nochmal leicht übertroffen habe. Segelt das Bio-Segment damit im Windschatten der starken Gesamtperformance von Spar? Laut Berkmann müsse man das Bio-Segment gesondert betrachten: „Die größte Herausforderung im Bio-Bereich ist die genaue Abgrenzung zu den konventionellen Produkten.“ Und dabei gibt vor allem der Nachhaltigkeitsgedanke den Ton an. Insbesondere im Obst- und Gemüsebereich versuche man deshalb, am Einsatz von Plastik zu sparen. Dass die Marktgrößen sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigen, lobt man auch bei Bio Austria. Markus Leithner: „Lebensmitteleinzelhandels-Konzerne haben dieses Thema schon länger auf dem Radar und bieten immer öfter solche Bio-Verpackungen an.“ Als Beispiel für innovative Lösungen nennt er etwa, dass bei verschiedenen Obst- und Gemüsesorten immer häufiger zum Einsatz kommende Natural Branding, bei dem das EU-Bio-Logo durch Laser auf der Schale dargestellt wird und so Plastikaufkleber ersetzt. Auch beim Thema Verpackung sehen die Kunden eben immer genauer hin: Nachwachsende Rohstoffe und wiederwendbare Behälter sind das Gebot der Stunde: „‚Stoff-Beutel statt Plastik-Einweg-Sackerl‘, lautet das Motto bei immer mehr Menschen“, befindet Leithner.  

Wie man hört: Auch wenn Covid-19 derzeit alles überschattet, wird schließlich der Klimawandel langfristig das Thema der Zukunft schlechthin sein – das sieht man bei Alnatura auch so. Irmgard Schuhmann-Lucny: „Die größte Herausforderung ist und bleibt die Klimakrise, nicht nur für die Bio-Branche.“ Und es ist vor allem die Nachfrage, die in der Hinsicht derzeit mehr auf die Tube drückt als die Politik: „Konsumentinnen und Konsumenten wollen mehr als Bio. Sie wollen eine Qualität, die mehr bietet, als für Bio gesetzlich vorgeschrieben ist.“ Aber auch auf politischer Ebene kommt Wind in die Bewegung: Die EU-Kommission hat heuer bekanntlich den European Green Deal präsentiert, der auch vorsieht, dass die biologisch bewirtschaftete Fläche der Europäischen Union bis 2030 von derzeit 7,7 Prozent auf 25 Prozent gesteigert werden soll. Das ist für die Bio-Landwirtschaft grundsätzlich erfreulich. Jedoch wird das auch einen veränderten Wettbewerb erzeugen, der neue Herausforderungen mit sich bringt, wie Christian Jochum von der Wirtschaftskammer zu bedenken gibt: „Österreich muss dann in Zukunft international die Vorzüge seiner Bio-Produkte noch besser vermarkten.“ Ohne besonderen Charakter ist am Ende nämlich auch im Bio-Bereich der Preis entscheidend.