COVERSTORY | KEYACCOUNT 17/2020

Eine Superkraft namens Bio

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 18.09.2020 - 10:17
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© RollAMA/AMA Marketing; n = 2.800 Haushalte in AT

Es ist eine mittlere Sensation: Ausgerechnet in der Krise sind Bioprodukte quer durch die meisten Segmente gewachsen. Das belegen aktuelle  Zahlen der Agrarmarkt Austria (AMA). KEYaccount hat sich die Zahlen näher angesehen und die Hintergründe analysiert.

Yotam Ottolenghi ist nicht nur ein preisgekrönter Koch, sondern obendrein einer der populärsten Kochbuchautoren der Welt. Dieser Tage gab der israelisch-britische Chef der deutschen „Zeit“ ein Interview und sagte dabei einen erstaunlichen Satz: „Essen wird immer wichtiger, je mehr auf dem Spiel steht.“ Die aktuellen Zahlen des AMA-Haushaltspanels legen den Verdacht nahe, dass der berühmte Koch hier einer großen Wahrheit auf der Spur ist. Die Menschen kochen verstärkt zu Hause – Stichwort Home-Office –, achten vermehrt auf Qualität und sind auch bereit, mehr Geld dafür auszugeben. Ausgerechnet in der Corona-Krise konnten Bioprodukte überdurchschnittlich stark zulegen. Die eingekaufte Menge an frischen Bio-Lebensmitteln (exklusive Brot und Gebäck) stieg laut AMA im ersten Halbjahr 2020 gegenüber den ersten sechs Monaten im Jahr 2019 um 14,4 Prozent, wertmäßig betrug der Zuwachs sogar knapp 20 Prozent. Besonders erfreulich: Nach einer jahrelangen Steigerung konnte der Bio-Anteil im Lebensmittelhandel im Juni erstmal überhaupt die Zehn-Prozent-Marke erreichen. Einzig in den strengen Lockdown-Monaten März und April war das Wachstum ein wenig verhaltener. Besonders im Mai zog Bio kräftig an. Im Vergleich zum Mai 2019 stieg hier der Bioanteil um 0,4 Prozentpunkte auf 9,8 Prozent. Im Mai 2018 hatte der Bio-Anteil im LEH sogar erst 8,7 Prozent betragen. AMA-Geschäftsführer Blass analysiert das Wachstum so: „Zwei Meinungsumfragen bestätigten bereits unsere Einschätzung, dass die Wertschätzung für Lebensmittel so hoch ist wie noch nie. Nun sichern dies auch die tatsächlichen Marktzahlen unseres Haushaltspanels ab. Corona konnte das stetige Wachstum von Bio nicht stoppen. Bei Butter, Käse, Fruchtjoghurt, Frischgemüse und Erdäpfeln konnte der Bio-Anteil im ersten Halbjahr im Vergleich zur Vorjahresperiode teilweise deutlich zulegen.“

Bio-Anteil wächst bei Fleisch deutlich

Selbst bei Fleisch und Wurst – zwei Kategorien mit einem traditionell eher niedrigen Bio-Anteil – wurden deutliche Zuwachsraten verzeichnet. Gerade bei Fleisch und Geflügel legte der Bioanteil im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019 gleich um sensationelle 0,7 Prozentpunkte zu und hält nun bei 5,6 Prozent. Bei Wurst stieg der Bio-Anteil um respektable 0,3 Prozentpunkte auf 3,2 Prozent. Über die Hintergründe kann man spekulieren. Die Skandale um die Corona-Infektionen in den deutschen Fleischfabriken dürften für viele Konsumentinnen und Konsumenten aber ein Weckruf gewesen sein. Immer mehr greifen zum qualitativ hochwertigeren – und teureren – Biofleisch.

Probleme bei Bio-Eiern

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© RollAMA/AMA Marketing; n = 2.800 Haushalte in AT

Die einzige Kategorie, die im Vergleich zur Vorjahresperiode gleich geblieben ist, ist Frischobst. Hier beträgt der Bioanteil 11,3 Prozent. Interessant ist die Tatsache, dass die beiden stärksten Bio-Segmente, nämlich Eier und Milch, im Vergleich zum Vorjahr nachgelassen haben. Bei der Milch betrug der Rückgang 0,8 Prozentpunkte, bei Eiern sogar 1,9 Prozentpunkte. Der Rückgang bei den Eiern lässt sich erklären. Dieser war nämlich der geringen Verfügbarkeit geschuldet. „Im März und April war die Nachfrage nach Bio-Frischeiern im Lebensmitteleinzelhandel höher als sie die Legehennenhalter und Packstellen bedienen konnten“, erklärt Blass.

97,3 Euro in sechs Monaten

Ein durchschnittlicher österreichischer Haushalt kaufte im ersten Halbjahr 2020 biologische Frischeprodukte im Wert von 97,3 Euro im LEH ein. Das entspricht einem Plus von knapp 17 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2019. Wie locker das Geld in Österreich für Bioprodukte sitzt, zeigt ein längerfristiger Jahresvergleich. Noch vor vier Jahren etwa gab ein österreichischer Haushalt gerade mal 67 Euro pro Quartal aus. Das ist fast ein Drittel weniger als im ersten Halbjahr 2020.

Außerdem griff fast jeder Österreicher mindestens einmal in den vergangenen sechs Monaten zu einem biologischen Lebensmittel. Denn laut AMA-Zahlen lag die Käuferreichweite bei 95 Prozent. Damit sind sowohl die Einkaufshäufigkeit als auch die eingekaufte Menge an Bio-Produkten gestiegen. Wichtigste Einkaufsquelle für Bio-Lebensmittel sind die Vollsortimenter. Zwei Drittel der Bio-Produkte werden dort gekauft, ein Drittel im Diskont.

Drei Viertel im LEH

Zusätzlich zu den Daten aus dem Haushalts­panel erhob die AMA auch Zahlen zum gesamten Bio-Markt – und zwar für das Jahr 2019. Darin sind alle Einkäufe im Lebensmittelhandel enthalten – also nicht nur Frischeprodukte – sowie Gastronomie, Direktvertrieb und Fachhandel. 2019 wurden in Österreich Bio-Lebensmittel im Gesamtwert von etwas mehr als zwei Milliarden Euro abgesetzt, das entspricht einem Plus von 6,7 Prozent gegenüber 2018. Besonders die im Direktvermarktungsbereich tätigen Bio-Bauern haben aber seit der Phase des Lockdowns einen starken Zulauf von Kundinnen und Kunden erlebt, betonte Gertraud Grabmann, Obfrau von Bio Austria: „Man kann fast schon von einer Renaissance der bäuerlichen Nahversorger sprechen. Die Menschen haben sich in der Krise wieder vermehrt der bäuerlichen Direktvermarktung zugewandt. Biokistl-Anbieter haben einen regelrechten Ansturm erlebt und mussten teilweise sogar einen Aufnahmestopp von Neukunden vornehmen“, so Grabmann.

Insgesamt wurden 2019 mehr als drei Viertel aller biologischen Produkte beim Lebensmitteleinzelhandel gekauft, 15 Prozent im Fachhandel oder direkt beim Bio-Bauern. Mit sieben Prozent ist die Gastronomie derzeit das kleinste Segment. Es konnte aber 2019 ebenso zulegen. Wie das natürlich 2020 aussieht, bleibt fraglich. Die Gastronomie war ja vor allem im Frühjahr wegen des Lockdowns weitgehend geschlossen.

Auch in Deutschland legte Bio zu

Dass Bio in Krisenzeiten boomt, ist übrigens kein Österreich-spezifisches Phänomen. Aus Deutschland werden – zumindest für das erste Quartal 2020 – sogar noch stärkere Zahlen vermeldet. Im umsatzstärksten Bio-Land Europas haben die Haushalte laut GfK im ersten Quartal insgesamt 27 Prozent mehr Geld für Bio-Frischeprodukte ausgegeben als noch in der Vorjahresperiode. Die Einkaufsmengen legten um 26,3 Prozent zu.

Immer mehr biologische Landwirtschaft

Doch zurück nach Österreich. Im Vorjahr ist auch die biologisch bewirtschaftete landwirtschaftliche Fläche angewachsen. Das zeigt ein Blick auf die aktuellen Zahlen des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus. Derzeit wirtschaften 24.225 Höfe beziehungsweise 22,1 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe nach den Kriterien der Bio-Landwirtschaft. In Österreich bewirtschaften die Bio-Bauern 669.921 Hektar Land. Das entspricht 26 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche. Im Vergleich zum Jahr 2018 sind im Vorjahr 748 Bio-Betriebe neu hinzugekommen. In der Fläche gab es einen Zuwachs von etwa 32.000 Hektar, was einer Steigerung um über fünf Prozent entspricht. Der überwiegende Anteil davon entfiel auf das Bio-Ackerland. Dieses nahm um rund 30.000 Hektar zu und macht nun 20,4 Prozent des Ackerlandes in Österreich aus. Beinahe ein Drittel des Dauergrünlandes wird in Österreich zudem biologisch bewirtschaftet. Die Zunahme beträgt hier über 1.000 Hektar: Außerdem sind laut Bio Austria bereits 35 Prozent der Obstanlagen sowie 15,5 Prozent der Weingärten ebenfalls Bio.