Meinl am Graben

Meinl im neuem Glanz

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 03.11.2021 - 10:42
Meinl1.jpg

© Hannes Eisenberger

Das Besondere bieten. Dieses Mission Statement steht gleich auf der Startseite der Meinl am Graben-Homepage und soll von Julius Meinl dem Ersten höchstselbst stammen, der den Wiener Edelgreißler im fernen Jahr 1862 aus der Taufe gehoben hatte. 159 Jahre später, im Jahr 2021, bietet das Handelshaus seinen Kundinnen und Kunden erneut etwas Besonderes: nämlich einen der größten Umbauten in der Unternehmensgeschichte. Fünf lange Monate hatte der traditionsreiche Luxus-Supermarkt geschlossen. Vor wenigen Tagen öffnete das Geschäft wieder seine Pforten. Sieben Millionen Euro ließ sich das Unternehmen die Umgestaltung kosten. Einige Dinge wurden dabei für immer eingemottet, etwa die Weinbar und das Restaurant. Zudem ist man nun nur mehr an der Adresse Graben 19 vertreten. Die bisherigen Geschäftsflächen an der Adresse Graben 20 wurden an den Vermieter Wüstenrot zurückgegeben.

Ein Kopf nimmt seinen Hut
Das Erste, was ins Auge sticht, wenn man auf den neuen Meinl am Graben zusteuert, ist das Logo. Schon vor vielen Jahren hatte Meinl damit begonnen, den „Mohr“ zu entschärfen. Der problematische Begriff wurde bereits vor 17 Jahren aus dem Unternehmens-Wording verbannt, die Figur selbst war zuletzt nur mehr als Silhouette gezeichnet. Nun verschwindet sie beim Meinl am Graben ganz beziehungsweise fast. Dazu gleich mehr. Übrig bleibt der Fez, also der Hut der ehemaligen Meinl-Galionsfigur. Das neue Logo funktioniert. Man sieht es und assoziiert damit sofort den Meinl am Graben. Die Art und Weise, wie das Handelshaus mit dem vorbelasteten Logo umgegangen ist, zeigt, dass man sich gerade auch als Traditionshaus von Altlasten befreien und erfolgreich neue Wege einschlagen kann. Der Meinl am Graben setzt hier tatsächlich ein Zeichen in Sachen moderner Markenführung. Andere Unternehmen mit problematischen Logos – denken wir etwa an die Vorarlberger Mohrenbrauerei – sollten sich am Mut des Wiener Unternehmens ein Vorbild nehmen. Kleiner Nachtrag: Das „alte“ Meinl-Logo lebt vorerst trotzdem weiter – aber nicht beim Meinl am Graben, sondern in einem anderen Unternehmen, nämlich bei Meinl Austria. Der Kaffeeproduzent will es weiterhin verwenden, weil es eine Hommage an die Geschichte sei, wie der Kaffee nach Wien kam. So zumindest verteidigt Meinl Austria die weitere Verwendung des umstrittenen Logos. Bleiben wir kurz noch beim Marketing: Neu ist auch der Name „House of Julius Meinl“, der groß über dem Eingang affichiert ist. Hiermit soll die Internationalität des Hauses unterstrichen werden: Apropos streichen: Auch eine neue Farbe ist augenfällig. Der ganze Eingangsbereich strahlt im edlen Petrol. Der Hintergrund harmoniert dabei sehr gut mit der goldenen Schrift. Die Fassade gewinnt dadurch enorm.
Das Marketing ist die eine Sache, die neue Ladengestaltung eine andere. Denn tritt man in das Geschäftslokal, ist der erste Gedanke: Das erinnert doch stark an den alten Meinl am Graben. Will heißen: Selbst jene Stammkundinnen und -kunden, die jedwede Veränderung fürchten wie der Teufel das Weihwasser, werden mit dem neuen Meinl leben können. Alles wirkt ein bisschen wir früher, nur aufgeräumter, heller und weniger „drückend“. Bei meinem Lokalaugenschein am Mittwochnachmittag vergangener Woche war der Meinl erstaunlich gut besucht. An allen Kassen bildeten sich Schlangen und in den Regalgängen zwängten sich Eingeborene, Zugereiste wie ich sowie Touristinnen und Touristen.

Meinl2.jpg

© Meinl am Graben


Stiege rauf, Stiege runter
Da es das Restaurant und die Weinbar nicht mehr gibt, wurde die Verkaufsfläche um 300 auf 1.600 Quadratmeter verkleinert. Das fällt aber in der Praxis nicht ins Gewicht. Interessanterweise haben es die Verantwortlichen geschafft, die Produktanzahl trotz geringerer Fläche zu halten, ohne dass man als Kundin oder Kunde das Gefühl hat, dass der Platz spürbar enger geworden sei. Als besonders gelungen würde ich die Frischfischtheke bezeichnen, die zu ebener Erd‘ angesiedelt ist und sich dort relativ unbedrängt und weitläufig präsentiert. Auch die in Marmor gehaltene Fleischtheke sowie die Käsetheke im ersten Stock stechen sofort angenehm ins Auge. Nicht allen wird übrigens die neue Stiege gefallen. Die alte Holzstiege war für Kennerinnen und Kenner so etwas wie das inoffizielle Wahrzeichen des Standortes. Sie wurde durch eine Art Wendeltreppe ersetzt, die zwar hell, imposant und modern aussieht, aber nicht über den getäfelten Charme des alten Aufstiegs verfügt. Viel Charme und Innovation versprüht derweil die Obst- und Gemüseabteilung im Erdgeschoss. Die Art und Weise, wie die Obst- und Gemüsekörbe angeordnet sind, nämlich neben- und übereinander, ist wirklich neu und gelungen.

Umzingelt vom Mitbewerb
Ob der neue Meinl am Graben freilich auch kaufmännisch gelingen wird, bleibt abzuwarten. Jahrelang hielten sich hartnäckige Verkaufsgerüchte. Diese sollten zumindest mittelfristig verstummen. Ein Sieben-Millionen-Euro-Umbau ist wohl die beste Standortgarantie, die man sich vorstellen kann. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Schon gar nicht in der Wiener City, wo die Handelsriesen den altehrwürdigen Platzhirschen seit einiger Zeit immer stärker einkesseln. Vor elf Jahren eröffnete Rewe den Kampf um die Wiener Innenstadt. Damals eröffnete der Premiummarkt Billa Corso im geschichtsträchtigen Wiener Herrnhuterhaus am Neuen Markt. Es folgte der mehrstöckige Luxus-Merkur am Hohen Markt, der inzwischen zu einem Billa Corso umfirmiert wurde. Auch im ehemaligen Café Griensteidl am Michaelerplatz eröffnete Billa im Vorjahr einen Flagship-Store. Und: Vor wenigen Monaten öffnete der runderneuerte Billa Corso in den Ringstraßen-Galerien wieder seine Tore. Dass Marktführer Spar dem prestigeträchtigen Treiben nicht tatenlos zusehen würde, war klar. Im ehemaligen Creditanstalt-Gebäude in der Schottengasse zeigte Spar dem Mitbewerb heuer, wo der Hammer hängt. Und der Schraubenzieher. Denn der neue Luxus-Interspar in dem denkmalgeschützten Prunkgebäude setzt neue Maßstäbe im heimischen LEH. Der Meinl am Graben mag zwar umzingelt sein und nicht über das scheinbar bodenlose Investitionskapital der großen Ketten verfügen, dafür hat er einige Trümpfe im Talon: den großen Namen, den neuen Markt, das alte Know-how und viel, viel Tradition. Der neue Meinl am Graben hat Potenzial – und zeigt, dass das altehrwürdige Handelshaus noch lange nicht im Graben ist.