Gurkerl.at

Schnell sein ist nicht alles

Ein Artikel von Johannes Lau | 22.09.2021 - 10:11
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Maurice Beurskens, CEO von gurkerl.at, hat in Österreich viel vor.
© Philipp Lipiarsk

Das Onlinegeschäft fristete im Lebensmittelhandel lange Zeit in Österreich ein Nischendasein. Die Nachteile lagen nämlich auf der Hand: Wer seine Produkte schnell und frisch bekommen wollte, war eher besser beraten, weiterhin stationär statt via Mausklick seine Einkäufe zu machen, zumal er online auch noch Lieferkosten bezahlen muss. Ohne[1]hin ist es angesichts des engmaschigen Filialnetzes des LEH in Österreich ein Leichtes, sich beim nächsten Händler zu versorgen. So waren die Onlineshops der LEH-Größen bislang eher zusätzliche Gimmicks, die mehr der Kundenbindung und der Markenbildung dienten, als dass hiermit tatsächlich ein nennenswerter Um- und Absatz erzielt wurde. Eineinhalb Corona-Jahre später sieht die Situation plötzlich anders aus: In Zeiten von Homeoffice, Lockdown und Quarantäne liegt der digitale Lebensmitteleinkauf voll im Trend. Das rührt auch daher, dass nun eine zunehmende Anzahl von Lieferdiensten zur Verfügung steht, die versprechen, gegenüber ähnlichen Services des etablierten LEH vor allem mit Schnelligkeit zu glänzen: Während eine Lieferung bei Billa oder Spar in der Regel je nach Bestellaufkommen mindestens einen Tag braucht, bis sie vor der Tür steht, drücken die neuen Lieferdienste auf die Tube: Alfie‘s, an dem Coca-Cola HBC Austria mit 20 Prozent beteiligt ist, will den Einkauf innerhalb einer Stunde – inklusive Sonntag – an die Frau und den Mann zu bringen. Der neue Dienst Jokr wirbt gar mit einer Lieferung innerhalb von 15 Minuten. Und auch die Fahrer von Mjam – bisher auf Restaurantlieferungen spezialisiert – befördern nun bestellte Einkäufe in ähnlichen Zei[1]fenstern. Dazugesellen werden sich demnächst die Kuriere von Gorillas, die schon anderen europäischen Großstädten unterwegs sind – eine Expansion in Österreich ist bereits angekündigt. Da aber solche logistischen Leistungen die entsprechende Infrastruktur benötigen, die von den einzelnen Mitbewerbern gerade erst ausgebaut wird, sind ihre Fahrer derzeit bislang vor allem im urbanen Raum unterwegs wie etwa in Graz, St. Pölten oder in Wien. Und auch in der Hauptstadt werden je nach Dienst nur bestimmte Bezirke angesteuert.

Massives Wachstum
Wie rasant die Lieferdienste aber derzeit dennoch wachsen, zeigt auch das Beispiel gurkerl.at: Das erst seit vergangenem Dezember aktive Unternehmen, eine Tochter des tschechischen Onlinesupermarkts Roh[1]lik, startete mit 200 Beschäftigten. Zehn Monate später sind mit einem Stab von rund 500 Personen bereits mehr als doppelt so viele Menschen für das Start-up tätig. Bereits 20.000 User verwenden den Dienst. „Um das Expansionsmodell, das wir vorhaben, bis zum Ende dieses Jahres zu realisieren, brauchen wir sehr viele Mitarbeiter, weil es bei uns bis jetzt noch wenig Automatisierung gibt“, erklärt Geschäftsführer Maurice Beurskens. Das kann KEYaccount nach einer Besichtigung des Gurkerl-Zentrallagers in Wien-Liesing bestätigen: Derzeit wird der Großteil der Abläufe noch mit den Händen erledigt. Im Schnitt 1.500 Bestellungen werden derzeit von rund 110 Boten täglich ausgefahren. Und es ist gut möglich, dass es noch mehr werden: Bis Jahresende will man einen Tagesschnitt von 3.000 Aufträgen schaffen und auch im nächsten Jahr soll die Kurve weiter steigen. Beurskens gibt sich selbstsicher: „Wir planen, unser Wachstum auch 2022 massiv fortzusetzen. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn wir weiter wachsen, wir relativ schnell – in den nächsten drei bis sechs Monaten – die Nummer eins in Österreich werden können. Das geht aber nur mit nachhaltigem Wachstum, und das muss man schrittweise planen.“ Bereits jetzt sind aber schon die Lagerkapazitäten am Anschlag, weshalb diese demnächst erweitert werden sollen. Auch die Mitarbeiterzahl soll in den nächsten zwölf Monaten noch ein weiteres Mal verdoppelt werden. Damit das gelingt, ist auch die tschechische Mutter erneut aktiv geworden: Für die Expansion in 11 Europa hat Rohlik laut Firmengründer Tomáš Čupr heuer von Investoren bereits 330 Millionen Dollar beschafft.

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Das gurkerl.at-Führungsteam. Von links: Stephan Lüger (Commercial Director), Maurice Beurskens (CEO) und Stephan Höllerl (Head of Operations).
© Philipp Lipiarsk

Wer geht, wer bleibt?
Die Konkurrenz versucht sich also gerade bei den Fahrzeiten zu unterbieten. Und in welchem Zeitrahmen liefert nun Gurkerl? In spätestens drei Stunden nach der Bestellung soll die Lieferung bei der Kundschaft eintreffen. Montag bis Freitag wird von 6 bis 22 Uhr geliefert, am Samstag von 6 bis 18 Uhr. Dass man im Vergleich zur Konkurrenz etwas weniger aufs Gas tritt, heiße nicht, dass man dem Wettbewerb hinterherrennt, sondern das geschehe laut Beurskens völlig bewusst: „Muss alles sofort da sein? Aus meiner Sicht: nein. Wenn man schon am gleichen Tag liefert, ist das bereits ein wahnsinniger Schritt.“ Da für die Expresslieferungen der Konkurrenz eigentlich die Lohnkosten in Österreich zu hoch und die Lagerkosten zu teuer seien, bezweifelt er, ob solche Blitzgeschwindigkeiten hierzulande mittelfristig wirtschaftlich realisierbar sind: „Ich glaube, dass diese Firmen bald wieder gehen werden, weil das einfach kein nach[1]haltiges Geschäftsmodell ist.“ Allein auf die Geschwindigkeit komme es nämlich nicht an, eine gute Dienstleistung beinhalte in der Hinsicht auch ein umfangreiches und nachhaltiges Angebot: Gurkerl bietet aktuell über 9.000 Produkte mit einem Bio-Anteil von 20 Prozent an und hat auch einige regionale Hersteller unter seinen Lieferanten: Derzeit arbeitet der Onlinesupermarkt mit 20 hiesigen Jungbäuerinnen und -bauern zusammen – diese Partnerschaften sollen in Zukunft weiter ausgebaut werden. Vor allem ist man an Landwirten interessiert, die innovativ arbeiten und Artikel herstellen, die man so nicht überall bekommt, um sich mit dem eigenen Sortiment von der Konkurrenz abzusetzen. Dazu setze man auf enge Kooperationen und unterstütze die Bauern auch vor Ort direkt: „Wir holen bei Bedarf die Ware gerne selbst ab, stellen innovatives, umweltschonendes Verpackungs- und Transportmaterial zur Verfügung und entwickeln gemeinsam Erntepläne“, sagt Gurkerls kaufmännischer Leiter, Stephan Lüger. Dazu muss man auch manchmal in Kauf nehmen, dass bestimmte Waren kurzfristig nicht zur Verfügung stehen. Aber das ist nun einmal der Preis, wenn man exklusivere und somit in geringeren Mengen produzierte Artikel anbietet. In der Zusammenarbeit mit den regionalen Produzenten legt man zudem auch Wert auf ökologische, verantwortungsvolle Feldarbeit, weil der ökologische Anspruch Teil von Gurkerls Gesamtpaket sei – bei der Produktion wie in der Auslieferung: Die derzeitige Flotte wird mit komprimiertem Erdgas betrieben, im Herbst werden jeweils zehn E-Autos und E-Bikes hinzukommen. Um ihren Betrieb zu gewährleisten, wurden bereits zwei Verteilzentren im dritten und sechsten Wiener Bezirk angemietet. Wenn es in dem Tempo weitergeht, kommen wohl schon bald noch welche dazu.