COVERSTORY | KEYACCOUNT 23-24/2020

Der Mann, der Spar zum Marktführer machte

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 14.12.2020 - 16:27
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Dr. Gerhard Drexel
© SPAR Österreich

Mit 31. Dezember tritt Gerhard Drexel nach 20 Jahren als Vorstandssprecher der Spar ab. Am 1. Jänner 2021 wechselt er in den Aufsichtsrat des Unternehmens, wo er den Vorsitz übernimmt. Aus diesem Grund bat KEYaccount-Chefredakteur Wolfgang Zechner den Spar-Chef zum Abschieds-interview und sprach mit ihm über seine Karriere, die Branche, die neu gewonnene Marktführerschaft und über die Gefahr, die von Internetriesen wie Amazon ausgeht.

KEYaccount: Das letzte Jahr Ihrer Amtszeit war ein Jahr der Extreme und der Widersprüche. Auf der einen Seite wurde die Marktführerschaft übernommen, auf der anderen Seite kämpfte die Branche mit der Corona-Pandemie. Was sind die wichtigsten Lehren, die Sie aus 2020 gezogen haben?
Gerhard Drexel: Das Corona-Jahr 2020 war für uns alle ein großer Stresstest. Rückblickend offenbarte Corona unseren „winning spirit“, wie ich es nenne. Wir sind dieser Pandemie mit der richtigen Einstellung entgegengetreten und letztendlich gestärkt aus dieser Krise hervorgegangen. Dass wir ausgerechnet in diesem schwierigen Jahr zum ersten Mal überhaupt die Marktführerschaft erringen konnten, war die größte Belohnung für uns alle bei Spar. Unsere Kaufleute und all unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdienen das größte Lob. Sie stemmten von Januar bis November 2020 ein Umsatzwachstum von plus 16 Prozent zum Vorjahr!

Hand aufs Herz: Haben Sie im Jahr 2001, als Sie den Vorstandsvorsitz der Spar übernommen haben, gedacht, dass die Übernahme der Marktführerschaft in Ihrer Ära gelingen wird?
Nein, das hätte ich nie für möglich gehalten. Sie dürfen nicht vergessen: Noch vor zwölf Jahren hatte die Rewe einen Vorsprung bei den Marktanteilen von 6,5 Prozentpunkten gegenüber Spar. Wir haben alles aufgeholt und sind in Führung gegangen.

Einer der Gründe für die Übernahme der Marktführerschaft war die Ostösterreich-Expansion. Sie wurde begünstigt durch den Niedergang von Meinl im Jahr 1999 und Zielpunkt im Jahr 2015. War für Sie immer klar, dass der Schlüssel zur Top-Position in Wien liegt oder mussten Sie als Westösterreicher sich erst langsam mit dem Gedanken anfreunden?
Man muss sich Folgendes in Erinnerung rufen: 1994 war das letzte volle Jahr, in dem es den Konsum als langjährigen Marktführer gegeben hat. Damals lag unser Marktanteil in Wien bei nur vier Prozent. Nach der Übernahme des größten Konsum-Teilpakets im Jahre 1995 und aller Meinl- und PamPam-Standorte in Ostösterreich im Jahr 2000 haben wir hier massiv an Bedeutung gewonnen. Heute liegt unser Marktanteil in Wien bei rund 26 Prozent. Uns war aber klar: Wir müssen in Ostösterreich zusätzlich durch Eigenexpansion wachsen und gleichzeitig unsere Spar-, Eurospar- und Intersparmärkte in ganz Österreich von Grund auf erneuern.

Ist mit einem Marktanteil von 26 Prozent das Ende der Fahnenstange in Wien erreicht?

Nein, überhaupt nicht! Mittelfristig wollen wir in Wien einen Marktanteil von 30 Prozent erreichen, das langfristige Ziel liegt bei 34 bis 35 Prozent, wie derzeit in Gesamt-Österreich.

Gerade in den vergangenen drei, vier Jahren konnte Spar besonders stark zulegen. Was haben Sie anders gemacht als in den Jahren davor?
Das ist eine gute Frage, aber meine Antwort wird Sie vielleicht überraschen: Wir haben unsere Strategie nicht geändert. Wir waren nur total konsequent. Unser Erfolgsrezept lautete immer: Offensivkraft nach außen bei gleichzeitiger Stabilität nach innen. Und: Wir haben uns nicht verzettelt. Wir haben uns auf das Arbeiten im sogenannten „magischen Dreieck“ konzentriert, das heißt höchste Konzentration auf das Sortimentsmanagement, auf das Marketing und auf den Vertrieb.

Das Auslandsgeschäft und die Shopping-Center haben in Ihrer Zeit als Vorstandsvorsitzender massiv an Bedeutung gewonnen. Wie wichtig sind diese Geschäftszweige für die Zukunft des Unternehmens?

Beide Geschäftsbereiche sind extrem wichtig für die Zukunft! Das Auslandsgeschäft haben wir 1990 gestartet. Heute sind wir in den von uns bearbeiteten Regionen in Italien – Südtirol-Trentino, Friaul-Julisch Venetien und Venetien – die Nummer eins. In Slowenien und Ungarn sind wir die Nummer zwei und in Kroatien die Nummer drei. Die SES Spar European Shopping Centers GmbH haben wir 2007 gegründet. Heute betreiben wir 30 Shopping-Center in sechs Ländern und sind Marktführer in Österreich und in Slowenien.

Wird in absehbarer Zeit beim Auslandsgeschäft ein neues Land hinzukommen?
Vorerst nicht – wir wollen lieber in Italien in neue Regionen vorstoßen. Wir sind gerade dabei, die südlich an Venetien angrenzende Region, die Emilia-Romagna, zu erschließen. Dort leben 4,5 Millionen Menschen. Langfristig werden wir auch in die Lombardei vorstoßen. Da haben wir genug zu tun.

Als langjähriger Marktbeobachter hat man das Gefühl, dass Sie vor zehn, 15 Jahren noch härter gegen den Mitbewerb ausgeteilt haben. Täuscht dieser Eindruck oder würden Sie sich selbst Altersmilde diagnostizieren?
Also eines vorweg: Ich fühle mich nicht alt! Darum kann es bei mir auch keine Altersmilde geben (lacht). Aber was das Verhältnis zu unseren Mitbewerbern in Österreich betrifft, kann ich eines sagen: Wir respektieren uns alle sehr. Wir anerkennen die Rolle jedes Einzelnen und es gibt keine Ressentiments gegenüber den jeweils anderen.

Das war doch nicht immer so, oder?

Ja, da haben Sie recht.

In letzter Zeit haben Sie sich öffentlich immer wieder gegen Amazon positioniert. Was werfen Sie dem Konzern vor?
Die neuen, sehr ernstzunehmenden Mitbewerber kommen aus einer anderen Richtung. Das sind internationale Online-Giganten wie Amazon, Alibaba oder Zalando. Diese Internet-Riesen werden immer gefährlicher, weil hier aufgrund ungleicher Rahmenbedingungen eine eklatante Wettbewerbsverzerrung besteht. Diese Unternehmen zahlen bei Paketlieferungen, die von außerhalb der EU kommen, nach wie vor keine Mehrwertsteuer. Das muss man sich vorstellen! Das gilt bis zu einem Paketwert von 22 Euro. Interessanterweise sind viele Pakete auch so angeschrieben, dass der Paketwert unter 22 Euro liegt. Und: Diese Konzerne zahlen zudem in den Ländern keine Steuern, in denen sie die Umsätze tätigen, sondern optimieren ihre Steuern in Steueroasen. Sie zahlen also fast überall auf der Welt keine Steuern.

Wenn Sie auf Ihre Tätigkeit bei Spar zurückblicken: Was waren die größten Erfolge, was war Ihre größte Niederlage?
Als größten Erfolg bewerte ich die Tatsache, dass wir in Österreich in den letzten elf Jahren jedes Jahr die Wachstumsführerschaft unter den Vollsortimentern erringen konnten. Unter Einbeziehung des Diskonts waren wir in neun der letzten elf Jahre jeweils Wachstumsführer. Dadurch konnten wir heuer zur Nummer eins im LEH aufsteigen. Das erfolgreichste Einzelprojekt habe ich zusammen mit Marcus Wild geleitet. Das war die Planung, die Entwicklung und der Betrieb von Österreichs erfolgreichstem Shopping-Center, dem Europark Salzburg. Das war auch das größte Einzelinvestment in der Geschichte der Spar. Meine größte Enttäuschung war der finale Ausgang des Kartellverfahrens vor fünf Jahren, wo es um das Thema Preisabsprachen mit Lieferanten ging.

Unser Erfolgsrezept lautete immer: Offensivkraft nach außen bei gleichzeitiger Stabilität nach innen. Und: Wir haben uns nicht verzettelt.


Dr. Gerhard Drexel

Dieser Kampf mit der Bundeswettbewerbsbehörde ging bekanntlich verloren. Das Bußgeld wurde damals sogar in zweiter Instanz verzehnfacht. Sie sind damals ziemlich forsch aufgetreten. Mit dem Abstand von ein paar Jahren gesehen: Würden Sie das heute anders machen?
Wir waren zutiefst davon überzeugt, in unserem Verhalten gegenüber den Lieferanten nichts Unrechtes getan zu haben. Deshalb haben wir – wie es in einem Rechtsstaat absolut legitim ist – die gegebenen Rechtsmittel genutzt. Das darf uns auch nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Das wurde Ihnen aber zum Vorwurf gemacht, oder?
Ja, schon. Das wurde uns zum Vorwurf gemacht und zwar nach dem Motto: Ihr hättet gleich lieber einen Vergleich mit der BWB abschließen sollen.

Sie würden heute also gleich handeln?
Mit dem gleichen Wissensstand: ja.

Der Spar-Geist ist in der Branche ein geflügeltes Wort. Welchen Anteil hatte dieser Spar-Geist beim Erfolgsrun der vergangenen Jahre?
Einen unschätzbar hohen Anteil! Wir sind sehr stolz, dass der legendäre „Spar-Spirit“, also der Geist unserer Gründerväter, auch in der dritten Generation verankert ist. Dieser Geist konnte von uns in die neue Zeit übertragen werden. Wir sind frisch, spritzig, unkompliziert und offensiv geblieben. Wir haben diesen „Spirit of Spar“ zu einem „winning spirit“ weiterentwickelt.

Sie haben sich in den vergangenen Jahren im Unterschied zu anderen Handelsmanagern immer wieder auch politisch zu Wort gemeldet. Das war vor Ihnen in der Branche ziemlich unüblich. Was war Ihr Antrieb, sich in diese Diskussionen öffentlich einzubringen?
Mein Antrieb liegt darin, dass wir als Lebensmittelhändler eine gesellschaftspolitische Verantwortung tragen. Wir wollen nämlich, dass unsere Lebensmittel auch in Zukunft „Mittel zum Leben“ bleiben. Unsere Kundinnen und Kunden sollen ein gutes und sicheres Gefühl haben, wenn sie bei uns einkaufen. Deshalb erheben wir unsere Stimme gegen Gentechnik in Lebensmitteln, gegen Glyphosat in der Landwirtschaft, gegen irreversible negative Folgen von Freihandelsabkommen, gegen Palmöl oder gegen zu viel Zucker in Lebensmitteln und in Getränken.

Mit Ihrem bedingungslosen Forcieren des Eigenmarken-Sortiments haben Sie sich in der Branche nicht immer nur Freunde gemacht. Sie haben mitunter auch nicht mit Kritik an der Industrie gespart. In jüngerer Vergangenheit haben Sie versöhnliche Signale in Richtung Markenartikler gesendet. Hat sich das Verhältnis gebessert?
Sie sind ein guter Marktbeobachter. Die Markenartikelindustrie versteht uns mittlerweile besser als noch vor wenigen Jahren. Sie hat gelernt, das Wachstumspotenzial, das die Spar bietet, intelligent zu nutzen. Auch haben die Markenartikler gelernt, dass wir gegenüber ihren Produktinnovationen sehr aufgeschlossen sind und dass ein inspirierendes Nebeneinander von Herstellermarken und Handelsmarken ganz im Sinne der Konsumentinnen und Konsumenten ist.

Aufgeschlossen gegenüber Produktinnovationen? Manche Interessenvertreter der Markenartikelindustrie würden sagen, dass Ihre Marken vom LEH im großen Stil kopiert werden. Was sagen Sie dazu?
Das stimmt überhaupt nicht! Ganz im Gegenteil – wir sind extrem innovativ, was unsere Eigenmarken betrifft. Allein im Corona-Jahr 2020 haben wir hier in Salzburg 650 neue Eigenmarken entwickelt und zwei komplett neue Eigenmarkenlinien.

Einer Ihrer Gegner war immer der Diskont. Ich würde sagen: Mit dem Eigenmarkensortiment haben Sie den Diskont selbst ins Sortiment geholt. Wie beurteilen Sie heute die Rolle der großen Diskonter in Österreich?
Jeder Mitbewerber hat eine ganz spezifische Rolle in der österreichischen und in der internationalen Handelslandschaft – gerade auch die großen Diskonter. Wichtiger denn je ist heute, dass alle Handelsunternehmen gegenüber der Politik an einem Strang ziehen und sich nicht auseinanderdividieren lassen. Es gibt so viele wichtige Themen, die für uns alle relevant sind, etwa die Verhinderung des Einwegpfands auf Plastikflaschen, die Verhinderung von Werbeverboten oder die Rücknahme der steuerrechtlichen Bevorzugung der ausländischen Online-Giganten.

Wenn Sie selbst auf Ihre 20-jährige Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender und Ihre 31-jährige Tätigkeit als Vorstand zurückblicken: Was hat sich in dieser Zeit am meisten in der Branche und in Ihrem Unternehmen geändert?

Also zunächst zu uns: Wir sind ein richtig cooles, modernes, kundenfokussiertes Unternehmen geworden, das sich von einem rein österreichischen Handelsunternehmen zu einem mitteleuropäischen Konzern entwickelt hat. Aber wir sind dabei zu 100 Prozent ein Familienunternehmen und auch menschlich geblieben. Zur Handelsbranche: Sie ist in den vergangenen 20 bis 30 Jahren wesentlich internationaler und professioneller geworden. Das Schöne und auch Beruhigende ist, dass man mit Geld allein den Erfolg nicht kaufen kann. So konnte der weltgrößte Händler, Walmart, in Deutschland trotz riesiger Investments keinen Erfolg erzielen und musste das Land wieder verlassen. Andere Riesen wie zum Beispiel Tesco mussten sich aus einigen osteuropäischen und asiatischen Ländern wieder zurückziehen. Die Conclusio: Im Handel gewinnen diejenigen Unternehmen, die die Psyche der Konsumentinnen und Konsumenten am besten verstehen und die Herzen der Kundinnen und Kunden erobern.

Mit 31. Dezember endet Ihre Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender. Was wird Gerhard Drexel im Jahr 2021 machen?
Darüber habe ich mir noch nicht den Kopf zerbrochen. In diesem intensiven Corona-Jahr hätte ich auch noch nicht die Zeit dazu gehabt. Ich freue mich auf die neue Funktion als Vorsitzender des Aufsichtsrats ab Anfang Januar und lasse diese neue, wichtige Zäsur einfach auf mich zukommen.