coverstory | keyaccount 22/2020

Bange um das Weihnachtsgeschäft

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 01.12.2020 - 09:10
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© Illustration: Johannes Eisenberger

Der Lebensmittelhandel wird heuer wohl ein Rekordjahr hinlegen, in anderen Branchen wiederum kämpfen Unternehmen um ihre Existenz. Nun steht das alles entscheidende Weihnachtsgeschäft vor der Tür. Fällt es heuer womöglich auch noch ins Wasser? Und welche Rolle wird Amazon dabei spielen? Fest steht: Die Konsumentinnen und Konsumenten haben es in der Hand. KEYaccount hat sich die aktuelle Situation angesehen – zwischen Lockdown und Umsatzhoffnungen.

Kommende Woche sollte der zweite Shutdown eigentlich enden. Der Konjunktiv ist bewusst gewählt. Denn ob dieser zweite, sogenannte harte Lockdown tatsächlich enden wird, ist eine Woche vor dem Stichtag mehr als fraglich. Zwar ist eine deutliche Entspannung bei den Infektionszahlen zu bemerken, dennoch ist die Lage immer noch äußerst gespannt. Eine Glaskugel besitzt die KEYaccount-Redaktion leider nicht, dennoch lässt sich aus heutiger Sicht bereits eines sagen: Eine komplette Öffnung des Landes wirds wohl nicht spielen. Es wird eher zu einer schrittweisen Öffnung kommen. Was das für den heimischen Handel bedeutet, ist unklar. Fest steht, dass die Regierung die Bedeutung der Branche für das Land verstanden hat und laut eigener Aussage so viele Einkaufstage wie möglich retten will. Man wird wohl erst am 31. Dezember wissen, wie viele das gewesen sein werden. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung an verschiedenen Fronten zu kämpfen hat. Da wären zum einen die Schulschließungen, die Bundeskanzler Sebastian Kurz dem Vernehmen nach gegen den Willen mancher Berater und gegen den Willen des grünen Koalitionspartners durchgeboxt hat. Eine Aktion, die in breiten Teilen der Bevölkerung für viel Unmut gesorgt hat – und die auch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im LEH getroffen hat. Gut möglich also, dass die Regierung dem öffentlichen Druck nachgibt und zuerst die Schulen aufsperrt, den Handel dafür länger zu lässt.

Kundenfrequenz stark rückgängig

Wie sehr der heimische Handel von der aktuellen Katastrophe betroffen ist, zeigen die Zahlen des „Handelsmonitors Österreich 2020“ von Statista und dem Handelsverband, für den 88 Handelsbetriebe befragt wurden. Demnach zeigen sich 83 Prozent der Betriebe bezüglich der negativen Effekte von Covid-19 besorgt. Sinkende Konsumausgaben (79 Prozent) sowie Unsicherheiten rund um die wirtschaftliche Stabilität des Landes (66 Prozent) werden als Hauptsorgen genannt. Neun von zehn Unternehmen haben bereits Corona-Maßnahmen ergriffen. Diese beinhalteten vor allem eine Verstärkung des Onlinehandels (73 Prozent) sowie die Einführung von Hygienekonzepten (58 Prozent) und Kurzarbeit (55 Prozent). Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will betont, wie dramatisch die Lage für den Handel heuer ist: „Der heimische Einzelhandel musste heuer seit dem ersten Covid-Lockdown im März einen deutlichen Rückgang der Kundenfrequenz von 22 Prozent verkraften. Auch die Liquidität der Betriebe verschlechterte sich im Zuge von Corona branchenübergreifend dramatisch.“ Laut Will würden 17 geschlossene Einkaufstage bei den mehr als 22.000 Geschäften für einen Umsatzverlust von bis zu 2,7 Milliarden Euro sorgen. Der HV-Geschäftsführer sieht zumindest 6.000 Unternehmen akut gefährdet, in eine Insolvenz zu schlittern.

Umsatzersatz im Handel

Während der Lebensmittelhandel heuer wohl ein Rekordjahr hinlegen wird, liegen andere Branchen am Boden. Der Hut brennt – und der Staat soll löschen. Seit zwei Wochen können jene Händler, die vom harten Lockdown direkt betroffen sind, den Umsatzersatz und den sogenannten Fixkostenzuschuss 2 bis 800.000 Euro beantragen.  Während andere Branchen, die aufgrund des Lockdowns ihren Betrieb vorübergehend schließen mussten, mit 80 Prozent Umsatzersatz entschädigt werden, wird der Handel mit einer Staffelung zwischen 20 und 60 Prozent entschädigt. So bekommt der Sportartikelhandel etwa 40 Prozent erstattet. Die unterschiedlichen Maßstäbe sorgen bei Branchenvertretern für Ärger. Viele sehen darin eine Benachteiligung. Gut möglich, dass diese Benachteiligung juristische Folgen nach sich ziehen könnte.

Kampf um das Sortiment

Doch selbst im Lebensmittelhandel herrscht Nervosität. Das fürs Gesamtjahr entscheidende Weihnachtsgeschäft beginnt dieser Tage. Die von der Rewe vom Zaun gebrochene Diskussion rund um Sortimentsbeschränkungen im LEH sorgte für heftige Reaktionen des Mitbewerbs. Rewe-Vorstand Marcel Haraszti preschte vor und kündigte an, im Lockdown nur mehr „typisches Warensortiment“ anzubieten, um nicht Umsätze auf dem Rücken jener Händler zu generieren, die im Shutdown zusperren mussten. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Schnell bildete sich eine äußerst ungewöhnliche Allianz aus Spar, Hofer und Lidl. Der LEH-Marktführer und die beiden Diskonter veröffentlichten gemeinsam eine Aussendung, in der sie mit dem Rewe-Vorstoß hart ins Gericht gingen. „Eine Sortimentsbeschränkung im Lebensmittelhandel wäre gesetzeswidrig, weil der Gesundheitsminister laut Covid-19-Maßnahmengesetz zwar eine Schließung von Geschäften verordnen kann. Er hat jedoch keine Ermächtigung, bei denen, die geöffnet haben, eine Sortimentsbeschränkung vorzunehmen“, argumentiert das Trio. Außerdem sei eine Sortimentsbeschränkung im Lebensmittelhandel verfassungswidrig, weil dies eine wettbewerbliche Maßnahme und eine Wettbewerbsbeschränkung wäre, heißt es in der Aussendung weiter. Schützenhilfe bekommen die Befürworter einer Einschränkung ausgerechnet vom Sozial- und Gesundheitsministerium. Dieses hat in der rechtlichen Begründung zur Covid-19-Notmaßnahmenverordnung das „typische Warensortiment“ wie folgt definiert: „So dürfen etwa in Mischbetrieben, die unter die Z 2 (Lebensmittelhandel) fallen, nur Waren im Sinne des Abs. 4 (d. h. etwa zum Erwerb von Lebensmitteln, Sanitärartikeln, Tierfutter) angeboten werden, nicht aber Spielzeug, Blumen oder Elektrogeräte.“ Verfassungsrechtler sind sich derweil uneinig, ob eine Sortimentsbeschränkung von der Verfassung gedeckt sei. Die Verfassungsjuristen Theo Öllinger und Heinz Meyer neigen dazu, das Verbot als rechtens zu sehen, ihr Kollege Bernd-Christian Funk ist hingegen skeptisch. Unterstützung bekommen die Befürworter eines Verbots von der Wiener Wirtschaftskammer. Präsident Ruck bedankte sich „im Namen der Wirtschaft“ bei Rewe-Vorstand Haraszti. Auch der Streit um Sortimentsbeschränkungen dürfte ein juristisches Nachspiel haben. Aktuell sieht die Gesetzeslage so aus: Sollte sich ein Betrieb nicht an die Auflagen der Covid-19-Notmaßnahmenverordnung halten, ist der Betriebsinhaber laut Verordnung je Verstoß mit einer Geldstrafe von bis zu 3.600 Euro zu bestrafen.

Amazon ante portas

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Rainer Will (Österreichischer Handelsverband)
© Österreichischer Handelsverband

Apropos Sortiment und Weihnachtsgeschäft. Über allen Diskussionen rund um Sortimentsbeschränkungen, Notmaßnahmen, Schließungen und Ersatzzahlungen hängt ein gigantisches Damoklesschwert. Und das heißt Amazon. Denn während der stationäre Handel weltweit ums Überleben ringt, nimmt der Online-Gigant immer stärker an Fahrt auf. Amazon ist der große Gewinner der Pandemie. Das lässt sich schön an der Entwicklung der Aktie ablesen. Mitte März kostete das Amazon-Papier noch 1.626 US-Dollar pro Stück. Aktuell wird es für knapp über 3.000 Dollar gehandelt. Einer der prominentesten „Warner“ in Sachen Amazon ist Handelsverbands-Geschäftsführer Will. Er bezeichnete einen zweiten Lockdown wortwörtlich als „Amazon-Förderungsprogramm“. Will argumentiert das so: „Nur ein Viertel der Käufe wird zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt, der Rest entfällt oder verlagert sich in den Onlinehandel – und dort vor allem in Richtung Amazon.“ Amazon ist in Österreich die erste Adresse, um online einzukaufen. Eine Erhebung des deutschen Statistikportals Statista und des deutschen EHI Retail Institute schätzt den Umsatz, den Amazon im Vorjahr in Österreich generierte, auf 834 Millionen Euro. Der Handelsverband appelliert darum an die Kunden, heuer die Weihnachtsgeschenke nicht bei Amazon zu kaufen: „Das größte Geschenk, das wir heuer zu Weihnachten jemandem machen können, ist ein sicherer Arbeitsplatz. Wie das geht? Ganz einfach, indem wir unsere Geschenke im heimischen Handel kaufen. Egal ob in einem der 13.500 heimischen Webshops oder nach dem Lockdown ab 7. Dezember hoffentlich wieder vor Ort in allen Geschäften.“

Prognosen für zwei Szenarien

Die große Frage bleibt: Was wird nun im Weihnachtsgeschäft passieren. Das Institut für Handel, Absatz und Marketing an der Johannes Kepler Universität in Linz hat aufgrund von zwei möglichen Szenarien zwei Prognosen erstellt, wie das Geschäft verlaufen könnte. Szenario 1 geht davon aus, dass die Bevölkerung ihre getroffenen Einkaufspläne trotz des zweiten Lockdowns weiterverfolgt und die Geschäftsschließungen für ihre geplanten Weihnachtseinkäufe im stationären Einzelhandel abwartet und wie geplant auch online einkauft. Sollte dieses Szenario eintreffen, werden von den Gesamtausgaben für Weihnachtsgeschenke in Höhe von 1,97 Milliarden Euro heuer 1,56 Milliarden Euro in den stationären Einzelhandel fließen. Das entspräche einem Rückgang von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In Summe ist in Szenario 1 von einem Online-Plus in Höhe von 14 Prozent beim Einkauf von Präsenten im Online-Handel auf 410 Millionen auszugehen. Das entspricht in etwa der Steigerungsrate des heimischen Internet-Handels in den ersten drei Quartalen 2020. Die Forscher der JKU Universität haben aber noch ein zweites Szenario erarbeitet. Es geht von der Annahme aus, dass die Konsumentinnen und Konsumenten aufgrund der Geschäftsschließungen ihre Weihnachtseinkäufe online erledigen werden. In Szenario 2 summieren sich die Online-Geschenk-Ausgaben auf etwa 460 Millionen Euro. Das würde einem Plus von 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr entsprechen. In Summe würden sich somit im Vergleich zu Szenario 1 rund 50 Millionen Euro von offline zu online verschieben. Institutsvorstand Christoph Teller: „Trotz Covid-19-Krise mit all ihren Begleiterscheinungen könnte sich auch heuer das Weihnachtsgeschäft als erstaunlich krisenresistent präsentieren. Der Online-Shift im Ausgabenverhalten wird jedenfalls stärker als im Vorjahr ausfallen.“