Coverstoy | Keyaccount 19/2020

"Das letzte Geschäftsjahr war nicht einfach."

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 22.10.2020 - 10:44
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Alessandro Wolf © Lidl

Im Dezember 2019 übernahm der Schweizer Alessandro Wolf die Geschäftsführung von Lidl Österreich. Im großen KEYaccount-Interview blickt der der 35 Jahre alte Top-Manager auf elf schwierige Monate zurück und spricht über die Pandemie, ihre Folgen und wie er das abgeschwächte Diskontgeschäft wieder ankurbeln will.

KEYaccount: Sie sind seit fast einem Jahr Geschäftsführer von Lidl Österreich. Wie fällt Ihr persönliches Fazit über diese ungewöhnlich turbulente Zeit aus?
Alessandro Wolf: Ich habe mir meinen Einstieg als CEO sicherlich anders vorgestellt. Als neuer CEO bringt man neue Ideen und Visionen mit. Corona hat uns hier einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber manchmal kommt es eben anders als man denkt. Entscheidend ist immer, wie man damit umgeht und auf solche unvorhergesehenen Umstände reagiert. Es war nicht immer leicht, aber ich denke, wir haben einen guten Job gemacht. Und ich bin und bleibe optimistisch. Jede Krise birgt auch Chancen. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Unternehmen gestärkt aus diesen turbulenten Zeiten herausgehen werden.

Vor Ihrem Österreich-Engagement haben Sie die Lidl-Geschäfte in der Schweiz geleitet. Was sind für Sie die größten Unterschiede zwischen dem helvetischen und dem österreichischen Markt?
Die beiden Länder sind gar nicht so verschieden, wie man vielleicht denkt. Beide Märkte gelten als gesättigt und sind durch einen starken Verdrängungswettbewerb gekennzeichnet. Der österreichische Markt ist aber sehr „aktionsgetrieben“. Ich war überrascht über die Intensität der wöchentlichen Rabattschlachten. Das hat sicher auch mit der besonderen Konstellation der Wettbewerber zu tun.

Der größte Unterschied ist, dass der Lebensmittelhandel in Österreich in der Öffentlichkeit immer wieder pauschal und undifferenziert als Problem dargestellt wird. Dabei trägt der LEH hierzulande im Vergleich zu anderen Ländern sehr viel zur heimischen Wirtschaft bei. Das ist schade und nicht gut für die Branche. Ein konstruktiverer, faktenbasierter Austausch entlang der Wertschöpfungskette inklusive Politik und Interessensvertretungen wäre da wesentlich konstruktiver. Aber am Ende des Tages entscheiden die Kundenbedürfnisse. In beiden Ländern spielen Produkte aus der Region, aus der Heimat eine große Rolle. Und da­rauf werden wir uns weiterhin stark konzentrieren.

Das Krisenjahr 2020 ist nun bereits mehr als neun Monate alt. Können Sie eine erste Zwischenbilanz ziehen? Wie hat sich Lidl Österreich im Pandemiejahr wirtschaftlich entwickelt?
Alles in allem sind wir als Lebensmittelhändler trotz der turbulenten Zeit besser durch die Krise gekommen als andere Branchen. Wir durften ja auch im Lockdown offen haben. Aber die Umstände haben sich natürlich auf unsere Performance ausgewirkt. Seit Ausbruch der Corona-Krise in Österreich sind wir mit sehr hohen zusätzlichen Kosten im zweistelligen Millionenbereich konfrontiert. Das wirkt sich auch auf das Ergebnis aus. Auch unsere Baustelle für das neue Logistikzentrum in Großebersdorf war beispielsweise betroffen. Gleichzeitig war es nicht so, wie viele glauben, dass die Umsätze über längere Zeiträume durch die Decke gingen. Die Hamsterkäufe waren enorme Spitzen, auch für den Betrieb. Die Umsätze sind danach aber wieder stark zurückgegangen. Wie eine „Endabrechnung“ aussieht, lässt sich noch nicht sagen. Was wir aber schon sagen können, ist, dass wir nach dem vergangenen Jahr mit vergleichsweise kleinem Wachstum die Wende geschafft haben und wieder richtig gut unterwegs sind. Wir ernten jetzt schön langsam die Früchte unserer Entscheidungen der letzten Monate. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass dieser Trend nach oben weitergeht.

Das Wachstum der Diskonter hat sich in den vergangenen Jahren ein wenig eingebremst. Die Vollsortimenter konnten wieder Boden gutmachen. Woran liegt das? Und wie wollen Sie diesem Trend entgegenwirken?
Das letzte Geschäftsjahr war nicht einfach. Zwar ist unser Umsatz leicht gestiegen, es hätte aber ehrlich gesagt besser laufen können. Der Verdrängungswettbewerb auch aus Richtung Gastronomie und Take Away hat sich weiter verschärft, der LEH hat sich gegenseitig mit Rabatten überboten. Unser Fokus liegt aktuell ganz klar auf den bestehenden Flächen. Hier wollen wir ansetzen und unseren Kunden noch mehr bieten: durch noch mehr Österreich, noch mehr Bio, noch mehr Frische, mit freundlichen Mitarbeitern und ansprechenden, sauberen Filialen. Diese Ziele haben wir mit unserem neuen Filialkonzept schon in vielen Filialen umgesetzt. Jetzt geht es darum, auch die Nicht-Kunden von unserem neuen Format zu überzeugen und ihnen den neuen Lidl schmackhaft zu machen. Und da haben wir noch einiges zu tun.

„Der größte Unterschied ist, dass der Lebensmittelhandel in Österreich in der Öffentlichkeit immer wieder pauschal und undifferenziert als Problem dargestellt wird.”


Alessandro Wolf über den Unterschied zwischen dem österreichischen und Schweizer Markt
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© Illustration: Hannes Eisenberger

Wie hat sich die Corona-Krise auf das Kaufverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten ausgewirkt? Haben Sie in diesem Zusammenhang auch Änderungen im Lidl -Sortiment vorgenommen?
Unsere Kunden kommen – nicht nur bei uns – weniger oft in die Filialen, kaufen dafür aber mehr und achten verstärkt auf regionale und Bio-Produkte. Diesen Sortiments-Trend gab es aber schon vor Corona, insofern gab es auch die diesbezüglichen Sortiments-Entscheidungen schon vorher.

Gleichzeitig haben wir uns natürlich an die Situation angepasst und unser Produktportfolio ausgebaut, beispielsweise mit MNS-Masken, Desinfektionstüchern oder Desinfektions-Gels. Zusätzlich sind wir auch aktiv auf kleinere Lieferanten zugegangen und haben kurzfristig Artikel ins Sortiment genommen, die aufgrund des Ausfalls der Gastronomie und Touristik keinen Absatz mehr gefunden hätten – wie zum Beispiel Milch, Käse oder Bier.

Die Fleischproduktion ist im Zuge von Covid-19 stark in die Kritik geraten? Was tun Sie, um Ihre Kundinnen und Kunden sicher mit hochwertigem Fleisch zu versorgen?
Der Fleischkonsum geht in ganz Österreich grundsätzlich etwas zurück. Dieser Trend wird sich voraussichtlich fortsetzen. Davon können gleichzeitig Qualitätsprogramme profitieren. Das passt auch zu unserem Ansatz. Bei unserem Frischfleisch vertrauen wir auf heimische Qualität und Herkunft: 100 Prozent unseres dauerhaft gelisteten Frischfleisches bei Schwein, Rind und Hendl stammen aus Österreich, ein Großteil davon ist AMA-zertifiziert. Bei unserem Schweinefleisch gehen wir sogar noch einen Schritt weiter: Bereits seit Mitte 2018 bieten wir neben konventionellem Schweinefleisch auch mehrere Schweinefleisch-Produkte auf Basis des AMA-Gütesiegel-Zusatzmoduls „Mehr Tierwohl“ an. Auch Bio-Hendl haben wir seit einiger Zeit im Angebot.

Lidl war in der Vergangenheit immer wieder ein Trendsetter im Diskont-Bereich, etwa mit der Einführung des Lidl-Backshops. Wird es in absehbarer Zukunft wieder derartige Innovationen in Ihren Märkten geben?
Wir arbeiten immer daran, noch besser zu werden. Wir sind offen für Neues und Innovationen, aber es muss eben auch zu unserem Format passen. Stichwort Digitalisierung. Hier ist unsere Lidl-Plus-App ein perfektes Beispiel: Seit 2018 gibt es unsere digitale Vorteils-App, die den Einkauf für unsere Kunden noch einfacher und angenehmer macht. Vom Filialfinder über die Öffnungszeiten bis hin zu Gewinnspielen und attraktiven Gutscheinen und Rabatten – all das ist immer auf dem Smartphone mit dabei. Die App ist auch eine gute Möglichkeit, unsere Kunden schnell und direkt zu erreichen – das war und ist gerade in Corona-Zeiten ein wichtiges Tool, beispielsweise für Push-Nachrichten oder Informationen zu geänderten Öffnungszeiten oder Hygieneregeln während der Corona-Krise. Aber wir haben schon noch ein bis zwei weitere Neuigkeiten in petto, die wir Anfang 2021 vorstellen werden. Darauf können Sie gespannt sein!

Wie hoch ist der Investitionsbetrag, den Sie heuer und im nächsten Jahr in Österreich in die Hand nehmen?
Heuer werden wir wieder über 110 Millionen Euro investieren. Der Großteil fließt in unsere bestehenden Filialen und unser neues Logistikzentrum in Großebersdorf. Auch im nächsten Jahr werden wir über 100 Millionen in den Standort Österreich und in heimische Unternehmen investieren.

Wie sieht es mit weiteren Neueröffnungen, Umbauten oder neuen Standorten in den kommenden Jahren aus?
Der österreichische Lebensmittelmarkt hat die höchste Marktkonzentration in ganz Europa. Daher werden wir in Zukunft bei der Standortauswahl noch selektiver vorgehen. Das heißt, wir werden expandieren, aber nicht um jeden Preis. Unser Fokus in den nächsten beiden Jahren liegt auf unserem bestehenden Filialnetz. Wir modernisieren Schritt für Schritt unsere Standorte. Unser Motto lautet: moderner, heller, aufgeräumter. Wir setzen auf eine freundliche Raumgestaltung, eine übersichtliche Sortimentsgestaltung und neue Farben und Beschriftungen. Noch in diesem Geschäftsjahr werden über 80 Filialen auf das neue Konzept umgestellt sein.

Wien gilt immer noch als wichtigstes Expansionsgebiet im LEH. Gibt es in Österreich noch weitere Gebiete, auf die Sie sich fokussieren wollen?
Nach wie vor sind neben Wien vor allem die Ballungsräume von Städten wie Graz, Innsbruck oder Linz interessant. Hier liegt weiterhin das größte Potenzial. Aber wir sind immer auf der Suche nach geeigneten Standorten, da gibt es noch einige weiße Flecken in Österreich. Und da wollen wir hin.