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Die Pandemie und ihre Folgen

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 31.03.2020 - 17:47
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© Illustration: Hannes Eisenberger

Während die Welt die Rollläden herunterlässt, hält der Lebensmittelhandel in der Corona-Krise seine Märkte offen. Es ist eine Ausnahmesituation, die auf der einen Seite kurzfristige Rekordumsätze bringt, der Branche auf der anderen Seite aber unerwartete Probleme beschert. KEYaccount hat sich die aktuelle Situation bei jenen Unternehmen angesehen, die in völlig unberechenbaren Zeiten die Versorgung sicherstellen.

Die Welt steht still. Metropolen verwandeln sich in Geisterstädte. Allein in den USA rechnet US-Präsident Donald Trump mit 100.000 Toten. In Großbritannien ist sogar Premier Boris Johnson erkrankt. Experten warnen davor, dass in vielen Teilen der Welt, etwa in Afrika oder in Indien, Katastrophen unmittelbar bevorstehen. Keine Frage: Wir befinden uns in der größten globalen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.

Corona sorgt auch in der Wirtschaft für Verwerfungen, wie sie vor wenigen Wochen noch unvorstellbar waren. Der Dow Jones stürzt völlig ab? Der Dow Jones mit dem höchsten Drei-Tages-Anstieg seit den 1930erJahren? Beides war dieser Tage Realität. Der Corona-Flächenbrand wirkt sich auch katastrophal auf die Handelslandschaft in Österreich aus, wie die Marktforscher von S+M Research jetzt errechnet haben. Demnach ist der stationäre Einzelhandel in Österreich mit einem durchschnittlichen täglichen Brutto-Umsatzverlust von bis zu 113 Millionen Euro konfrontiert. Demnach verliert der gesamte stationäre Einzelhandel in Österreich pro Shutdown-Tag 46,4 Prozent seines täglichen Umsatzes. Den mit 66,8 Prozent stärksten Umsatzverlust verzeichnet der stationäre Einzelhandel in den Citys, gefolgt von den Einkaufszentren mit einem durchschnittlichen täglichen Umsatzrückgang von 65,2 Prozent. Wöchentlich kostet der Lockdown den stationären Einzelhandel zwischen 500 und 700 Millionen Euro brutto. Bei 26 Öffnungstagen könnte der fehlende Bruttoumsatz eines Monats bis zu drei Milliarden Euro betragen.

„Deutlich ruhiger“

Soweit die harten, ernüchternden, schockierenden Zahlen. Völlig anders sieht es im Lebensmittelhandel aus, der aktuell Rekordumsätze verzeichnet. Wobei: Die Zeit des Hamsterkaufs scheint vorerst vorüber zu sein. Der Run der Konsumentinnen und Konsumenten auf die Geschäfte ließ vergangene Woche deutlich nach. Die Angst, dass Lebensmittel ausgehen könnten, erwies sich als unbegründet. Trotz eines beispiellosen Ansturms der Kundinnen und Kunden brach die Versorgung nicht zusammen. „Es ist bereits deutlich ruhiger in den Geschäften im Vergleich zu den ersten Tagen der Krise“, sagt etwa Spar-Sprecherin Nicole Berkmann im KEYaccount-Telefonat. Der heimische LEH hat die schwierigste Belastungsprobe der Nachkriegszeit vorerst bestanden. Das oft gescholtene Over-storing, also die extrem hohe Anzahl an Supermärkten in Österreich, erwies sich als Segen in der Not. In der vergangenen Woche intensivierten die Ketten nun ihre Anstrengungen, die eigene Belegschaft gegen eine Ansteckung zu schützen. Plexiglaswände wurden eilfertig in den Kassabereichen errichtet. Schutzausrüstungen wurden verteilt. Und die Kunden wurden dazu angehalten, einen unbedingten Sicherheitsabstand einzuhalten.

Kurzarbeit als neue Realität

So weit, so gut, doch immer mehr Marktteilnehmer stöhnen unter den wirtschaftlichen Belastungen. Da wären zum einen die Cash&Carry-Märkte, die unter dem fast vollständigen Wegfall der Gastro-Kunden zu leiden haben. Als erstes Unternehmen reagierte Transgourmet. Der Österreich-Ableger der Schweizer Coop-Gruppe schickte 1.680 seiner 1.800 Mitarbeiter für vorerst drei Monate in Kurzarbeit. „Wir wollen und werden diese Krise gemeinsam mit unseren Mitarbeitern bewältigen“, sagt Transgourmet-Geschäftsführer Thomas Panholzer. Transgourmet rechnet mit bis zu 70 Prozent Umsatzeinbußen – und das nicht nur kurzfristig. „Wir müssen realistisch davon ausgehen, dass sich die Situation erst im Sommer wieder entspannen wird“, so Panholzer. Immerhin dürfen Gastrogroßhändler wie Transgourmet, Metro oder Kastner ihre Waren ab sofort auch an die breite Bevölkerung, also an Kundinnen und Kunden ohne Mitgliedskarten, verkaufen. Ob und in welchem Ausmaß die Umsatzeinbußen durch ausbleibende Gastro-Kunden damit abgefangen werden können, bleibt abzuwarten. Die Kurzarbeit ist also die neue Realität der Branche.

Bei Transgourmet geht übrigens die Unternehmensführung mit gutem Beispiel voran:   Thomas Panholzer und Manfred Hayböck als Geschäftsführer sowie Johannes Starrermayr, Geschäftsführer von Gastro Profi, und die freigestellten Betriebsräte Martin Gstöttner und Ronald Freudenthaller verzichten in der Zeit der Kurzarbeit freiwillig auf 20 Prozent ihres Gehalts. „Das versteht sich von selbst – das ist ein Akt der Solidarität“, so die Geschäftsführer und Betriebsräte.  Wenige Stunden nach Transgourmet musste dm reagieren. Seit dem 15. März sind die 171 Friseur und 113 Kosmetikstudios sowie die gesunde pause Frischetheken von dm in Österreich geschlossen. Die rund 2.200 in diesen Bereichen beschäftigten Mitarbeiter wurden ab dem 23. März für Kurzarbeit angemeldet, soweit kein Einsatz im Handel möglich ist.

Und selbst die zuletzt so erfolgsverwöhnte Spar Gruppe kommt um die Kurzarbeit nicht herum. Die Maßnahme betrifft freilich nicht das Geschäftsfeld des Lebensmittelhandels. Betroffen ist rund die Hälfte der Belegschaft der Sportfachhandels-Tochter Hervis. Die andere Hälfte kommt temporär in den Supermärkten des Konzerns zum Einsatz, wie Spar-Sprecherin Berkmann KEYaccount bestätigte. Von den großen Lebensmittelproduzenten gab es bei Redaktionsschluss noch kaum Meldungen über etwaige Kurzarbeits-Modelle. In Telefonaten mit KEYaccount haben aber bereits einige Top-Manager anklingen lassen, dass auch ihre Unternehmen nicht um die Kurzarbeit herumkommen werden. Vor allem Hersteller, die auch eng mit der Gastronomie zusammenarbeiten, werden betroffen sein. Apropos Gastronomie: Die Retail-Forscher von S+M Research haben ausgerechnet, dass Corona der österreichischen Gastronomie einen Brutto-Umsatzrückgang von 44 Millionen Euro beschert – und zwar täglich!

Handelsverband koordiniert

Eine koordinierende Rolle fällt in diesen Tagen dem österreichischen Handelsverband zu. Geschäftsführer Rainer Will kämpft aktuell an mehreren Fronten zugleich. Unter anderem berät er auch den Krisenstab der Bundesregierung. So rief Will gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium die Aktion „Händler helfen Händlern“ ins Leben – eine Art Partnerbörse für Handelsangestellte. In den ersten 24 Stunden konnten so gleich 500 temporär wechselwillige Handelsangestellte gefunden werden. Nach wenigen Tagen waren es bereits mehr als 1.000. Auf positive Resonanz beim Handelsverband stieß auch das große Rettungspaket der Bundesregierung.

Allerdings müssen die Ankündigungen sofort umgesetzt und die Hilfen jetzt ausbezahlt werden, mahnt der Handelsverband ein. Der Grund liegt auf der Hand: Die meisten Non-Food Händler machen seit zwei Wochen Null Euro Umsatz, ihnen geht die Luft zum Atmen aus. Der Handelsverband begrüßt außerdem die Aufstockung des Finanzierungsrahmens für die Corona-Kurzarbeit auf eine Milliarde Euro. Positiv bewertet wird insbesondere auch die Option auf Überbrückungskredite, damit Betriebe, die durch den Shutdown nur mehr über geringe Liquidität verfügen, die Gehälter bezahlen können. Vergangenen Freitag sprach ich im Video-Interview mit Rainer Will über die Auswirkungen von Corona auf die Branche. Das YouTube-Video können Sie hier anklicken und ansehen.

Prämien für die Angestellten

Während die einen gar nichts umsetzen, setzen andere derzeit sehr viel mehr als in „normalen Zeiten“ um. Der österreichische Lebensmittelhandel will nun seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den Läden ihre Köpfe im Namen der Systemerhaltung hinhalten, belohnen. Spar etwa schüttete drei Millionen Euro an die Angestellten aus. Auch bei Rewe bekommen alle 40.000 Beschäftigten in den Filialen, Lagern und der Logistik einen „Danke-Bonus“ auf ihre Mitarbeiterkarte aufgebucht. In Summe werden die Wiener Neudorfer dafür einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag lockermachen. MPreis wird einen Bonus von rund 500.000 Euro in Form von Gutscheinen ausschütten und Lidl stellt in Österreich eine siebenstellige Summe für alle Mitarbeiter zur Verfügung. Auch Hofer zieht mit und wird an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich zum Gehalt einen Bonus auszahlen. Das ist aber nicht die einzige gute Nachricht für die Belegschaften. Die Regierung hat bereits angekündigt, dass diese Prämien nicht besteuert werden.

Onlineshops dürfen auch am Sonntag zustellen

Interessant wird werden, ob der Online-Handel mit Lebensmitteln durch die Corona-Krise aus seinem kostspieligen Dornröschenschlaf geweckt werden kann. Die Bestellungen sind bei Billa und bei Interspar seit Ausbruch des Virus sprunghaft angestiegen. Nun kämpft die Branche damit, die Bestellungen zu erfüllen. Lange Wartezeiten sind aktuell leider noch die Regel. Die Branche kam hier vom Regen in die Traufe. Zuerst wurde das Angebot nur schleppend angenommen und blieb daher stets ein defizitäres Unterfangen. Plötzlich werden die Online-Shops gestürmt und die Kapazitäten reichen nicht. Zumindest die Regierung greift dem Onlinehandel nun regulatorisch unter die Arme. So werden die Lieferzeiten für den Lebensmittelhandel sowie für Drogerien ausgedehnt. Ab Freitag dürfen die Anbieter zusätzlich zu den bisherigen Lieferzeiten nun bis Sonntagnacht und an Feiertagen zustellen. Dies gilt auch für kleinere Lebensmittelhändler.

Die Frage, die sich alle nun stellen, lautet: Wie lange noch? Oder: Wann kehrt langsam wieder so etwas wie Normalität in unserer Leben zurück. Eine Antwort darauf lautet aus heutiger Sicht: noch länger nicht. Obwohl die Kurve der Neuinfektionen zuletzt abflachte, verschärfte die Regierung Montagmittag die Maßnahmen. Ab sofort werden Schutzmasken in den Supermarktketten verteilt. Das Tragen der Masken beim Einkaufen ist nun Pflicht. Mittelfristig soll die Schutzmaßnahme überall dort verpflichtend sein, wo man an Menschen vorbei geht. Das Corona-Virus wird uns wohl noch länger beschäftigen.