Lockdown

Der 4. Lockdown & die Folgen

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 30.11.2021 - 11:09
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© Hannes Eisenberger

Seit mehr als einer Woche befindet sich Österreich also wieder im Lockdown. Der zuletzt dramatische Anstieg der Infektionszahlen und die bescheidene Impfquote im Land ließen die Politik die Reißleine ziehen. Vorerst 20 Tage lang bleiben im ganzen Land die Rollläden herunten. Oder besser gesagt: die meisten Rollläden. Denn wie auch schon in den drei vorangegangen Lockdowns dürfen Geschäfte des öffentlichen Bedarfs auch diesmal offen halten. Das bedeutet, dass Supermärkte, Trafiken, Drogerien oder Tierbedarf-Geschäfte auch während dieses Shutdowns aufsperren. Für den heimischen Lebensmittelhandel heißt das: stärkere Frequenzen, weil die Leute nicht in Restaurants ausweichen können. Und: Der Trend zum One-Stop-Shopping wird sich – wie auch in den vergangenen Lockdowns – fortsetzen. Davon profitieren werden die Vollsortimenter und hier besonders die Verbrauchermärkte.

LEH forciert Onlinehandel
Ein Geschäftsfeld, das in den kommenden Tagen und Wochen Hochkonjunktur haben wird, ist der Onlinehandel. Und zwar auch der Onlinehandel mit Lebensmitteln. Bei Billa zum Beispiel hat man bereits voraussehend reagiert und das Zustell-Personal um ein Drittel aufgestockt, wie Rewe-Sprecher Paul Pöttschacher auf KEYaccount-Anfrage erklärte. Vor allem im Ballungsgebiet Wien und Wien-Umgebung will man damit etwaige Engpässe abfangen. Zudem habe man das Sortiment inzwischen auf 10.000 Produkte aufgestockt, so der Rewe-Sprecher. Die Nummer zwei im heimischen LEH hat damit die richtigen Lehren aus dem ersten Lockdown von 2020 gezogen, als es zwischendurch wegen des großen Ansturms kaum offene Zustellungs-Zeitfenster gab.

Auch Hofer stellt jetzt zu
Rechtzeitig zum vierten Lockdown steigt auch Hofer in den Online-Ring. Nachdem der Diskonter dem Thema Lebensmittelzustellung jahrelang bewusst aus dem Weg gegangen ist, vollzog das Unternehmen nun eine Kehrtwende. Seinen neuen Lieferservice bietet Hofer in Kooperation mit dem Partnerunternehmen Roksh GmbH an. Roksh ist eine Online-Plattform, die es Kundinnen und Kunden ermöglicht, ihre gewünschten Produkte in Form einer digitalen Einkaufsliste von Personal Shoppern von Roksh in einer Hofer-Filiale einkaufen und liefern zu lassen. Einziger Wermutstropfen: Man muss in Wien wohnen, um das Hofer-Online-Angebot in Anspruch nehmen zu können.
Aber auch Offline hat der erneute Lockdown Auswirkungen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rewe-Handelsfirmen etwa werden wieder angehalten, Masken zu tragen. Bis vergangene Woche waren die Handelsangestellten ja maskenbefreit. Heikel wird zudem die Frage der Sortimentsgestaltung. Denn der Lockdown trifft den heimischen Handel zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt – nämlich zu Beginn des Weihnachtsgeschäfts. Laut aktueller Corona-Schutzmaßnahmenverordnung dürfen in den Geschäften, die weiter offen halten dürfen, nur Waren angeboten werden, die dem typischen Warensortiment entsprechen. Damit soll offenbar verhindert werden, dass der LEH den vorweihnachtlichen Rahm auf Kosten anderer Händler abschöpft. Ob diese Verordnung sinnvoll ist, darf bezweifelt werden. Zumal man schon jetzt sagen kann, dass Onlineriesen wie Amazon oder Zalando den heimischen Händlern am meisten Umsatzanteile wegnehmen werden. Bereits im Vorjahr, im Zuge des zweiten Lockdowns, gab es in Sachen Sortimentsgestaltung und Krisengewinnlertum einen öffentlichen Schlagabtausch zwischen Interessenvertretungen und Handelsketten.
Ein Passus der Schutzmaßnahmenverordnung, der in der aktuellen Berichterstattung untergegangen ist, sollte hier auch nicht unerwähnt bleiben: Das allgemeine Betretungsverbot im stationären Handel gilt nicht im b2b-Bereich. Zum Zweck zumindest zweiseitig unternehmensbezogener Geschäfte darf man sich demnach also weiterhin treffen.

Milliardenschwere Umsatzverluste
Während sich der LEH auf den Kundinnen- und Kunden-Ansturm vorbereitet, trägt der restliche Handel aktuell Schwarz. Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes, bringt die Situation auf den Punkt: „Ein harter Lockdown im Weihnachtsgeschäft bedeutet, dass wesentliche Teile des stationären österreichischen Handels existenziell gefährdet sind und selbstredend dessen Arbeitsplätze. Die Branche muss Umsatzverluste von rund 2,7 Milliarden Euro verkraften.“ Neben dem obersten Ziel, die Gesundheitssituation der Bevölkerung zu verbessern und die Lage auf den heimischen Intensivstationen zu stabilisieren, dürften jetzt aber auch ökonomische und soziale Ziele nicht vergessen werden, mahnt Will. „Der Handelsverband fordert daher einmal mehr eine Ausweitung des Ausfallsbonus und ergänzend ein neues Set an Hilfen zur Stabilisierung des Handels- und Wirtschaftsstandortes Österreich. Die Gelder für den ‚Patient Wirtschaft‘ müssen ab Tag 1 des Lockdowns fließen“, fordert Will.

Schlechtes Timing
Will geht von einem Umsatzentgang in der Höhe von 2.7 Milliarden aus und bewegt sich mit seiner Schätzung damit im konservativen Bereich. Christoph Teller, Professor für Marketing- und Handelsmanagement auf der Johannes Kepler Universität zu Linz, rechnet sogar mit Umsatzeinbußen in der Höhe von 3,1 Milliarden Euro. Und: Die Auswirkungen auf das Weihnachtsgeschäft dürften heuer noch dramatischer als im Vorjahr sein. Der Grund: schlechtes Timing. Teller: „Im Vergleich zum Vorjahr verschiebt sich heuer der Lockdown näher hin zu Weihnachten. Während 2020 der Lockdown bereits am 6. Dezember geendet hat, wird dieser heuer bis 12. Dezember andauern. Das bedeutet, dass heuer nicht nur am ersten, zweiten und dritten Einkaufssamstag, sondern auch am umsatzstarken Marienfeiertag am 8. Dezember die Geschäfte im Non-Food-Handel geschlossen bleiben – und das in der umsatzstärksten Zeit des Jahres.“

Ein offener Sonntag?
Kein Wunder also, dass der Handel alle Hebel in Bewegung setzt, um zu retten, was noch zu retten ist. Eine der großen Hoffnungen wäre eine bundesweite Sonntagsöffnung am vierten Adventsonntag für alle Handelsbetriebe auf freiwilliger Basis. Dieser wird vom Handelsverband und anderen Branchenvertretern vehement eingefordert. Eine einmalige Ausnahme angesichts der dramatischen Umstände wäre sicher argumentierbar. Traditionell gibt es aber in Österreich Kräfte, die das sonntägliche Tabu mit allen Kräften verteidigen. Diese Kräfte vereinen so unterschiedliche Organisationen wie die Gewerkschaft oder die Katholische Kirche. und Wochen werden entscheidend. Nicht nur wegen der neuen, besorgniserregenden Virusvariante, die den Namen „Omicron“ trägt. Nicht weniger als die Zukunft des heimischen Handels steht auf dem Spiel.